Eine berühmte Turbulenz aus der jüngeren Geschichte der Schulreform in Deutschland ist die Geschichte von Enja Riegel und der Helene-Lange-Schule in Wiesbaden.
Die Geschichte wird von Reinhard Kahl anschaulich beschrieben. Hier ein Ausschnitt:
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Hessen, Anfang der 1970er Jahre:
Anfang der 70er Jahre wurde eine neue Schulleiterin bestellt. Sie kam von einer Frankfurter Gesamtschule, hatte Elan und wollte alles anders machen. In ihrer Antrittsrede machte sie an der Schule den Staub von Jahrhunderten aus und kündigte an, den ganzen gymnasialen, pädagogische Müll und Schutt zu entsorgen. Diese Revolution von oben empörte einen Teil des Kollegiums und auch Eltern, bei denen das Misstrauen an Reformen wuchs, wollten sie vertreiben. -
Bei der nächsten Konferenz, ließ der mit einer Lehrerfraktion und dem stellvertretenden Schulleiter verbündete Elternrat einen Müllcontainer auf dem Hof vor den Fenstern des Lehrerzimmers abladen. Die Presse war bestellt. Es dauerte nicht lange, da gab die neue Leiterin auf. [...]
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Wie in den meisten Schulen hatten auch an der Helene-Lange-Schule große Worte über die Reform von Gesellschaft und Schule Konjunktur. Nur den Unterricht und den Alltag der Schüler erreichten diese Ideen nicht. In dieser Zeit wurden Lehrerzimmer überall zu Schlachtfeldern zwischen den Anhängern konservativer Bildung und den Emanzipationsideen der häufig in sich zerstrittenen neuen Linken. Die meisten Gräben, die Anfang der 70er Jahre ausgehoben wurden, blieben einen 30jährigen deutschen Bildungskrieg lang offen und häufig hinterließ der Kampf Wüsten. -
Entspannung versprach an der Hela (Helene-Lange-Schule) ein neuer Schulleiter, Hubert Ivo. Er schrieb an einer neuen Didaktik für den Deutschunterricht und wirkte an den umstrittenen Hessischen Rahmenrichtlinien mit. Er hatte Ideen, konnte begeistern, war aber häufig zu Vorträgen unterwegs. Schon nach 2 Jahren erhielt er den Ruf an eine Universität. -
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Später kam ein neuer, der bald sehr beliebt war. Aber als ihm die Leitung des renommierten altsprachlichen Gymnasiums mit einer großen Oberstufe angeboten wurde, ging auch er. Das Kollegium fühlte sich von beiden, mit denen es sich voller Elan auf die Veränderung der Schule eingelassen hatte, versetzt und verletzt. Aber wer kümmert sich eigentlich um die Schüler und das ganze Wurzelwerk des Alltags? Dafür interessierte sich Enja Riegel immer mehr. [...]
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1982 ist Enja Riegel 42 Jahre alt.
Sie hat 13 Jahre als Lehrerin in fast allen Schulformen und mit Schülern aller Altersgruppen gearbeitet. Inzwischen hat sie interessante Schulen in Deutschland und Frankreich besucht. Da ergibt es sich, dass sie im Amtsblatt von der Ausschreibung der Schulleiterstelle an der Helene-Lange-Schule liest. Enja Riegel kann nicht anders, als diese Anzeige als eine an sie gerichtete Aufforderung zu verstehen. Damit steht sie ziemlich allein. Der Schulrat versucht sie von der Bewerbung abzuhalten. In Gremien der Stadt Wiesbaden erinnert man sich an die rote Enja und spricht sich für den Konkurrenten aus, einen etwas älteren Lehrer aus dieser Schule und setzt Frau Riegel an die 2. Stelle. Minister Krollmann hört Gutes über die Bewerberin und lädt sie und ihren Mitbewerber zum Gespräch. Nach dem Gespräch entscheidet er sich und ruft seinen Freund, den Wiesbadener Schuldezernenten an. „Franz, nimmst Du sie?“ Der willigt widerwillig ein. Bis die hartnäckigen Einsprüche diverser Instanzen des Personalrats überwunden sind, vergeht mehr als ein Jahr. Dann wird diese von vielen weder als bürokratietauglich noch als führungsgeeignet angesehene Frau zur Schulleiterin ernannt. [...]
An ihrem ersten Tag als Direktorin der Helene-Lange-Schule sah Enja Riegel schwarz. Das Kollegium kam in Trauerkleidung. Ausnahmslos. Die Riegel sollte es nicht werden! Solchen Protest hatte es in einer Schule noch nicht gegeben. - In einem schmucklosen Raum, keine Blume, keine Musik, nichts, sitzt das Kollegium, alle in Schwarz und erwartet die neue Direktorin. Die einen lehnen sie ab, weil der Minister sie durchgesetzt hat. Manche haben sie als Rebellin in Erinnerung. Für andere passten die gegensätzlichen Vorbehalte ins Bild, dass die Frau wohl etwas verrückt sei. [...]
1986 wurde die Helene-Lange-Schule unter der Leitung von Enja Riegel in eine integrierte Gesamtschule mit reformpädagogischem Profil umgewandelt. Bereits 1987 wurde sie als UNESCO-Projektschule aufgenommen. [Fortsetzung hier]
Fast 20 Jahre später
bedankte sich das Kollegium zur Pensionierung ihrer Schulleiterin mit einem Fest, das eine deutsche Schule wohl noch nicht erlebt hat.
2003 ging die Schulleiterin Enja Riegel in Pension.
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Im Lande Lu um 500 v.Chr.
Lehr-Gespräche (=Analekten) des Konfuzius |
In der Formel Regieren heißt berichtigen, brachte Konfuzius zwei im Chinesischen verwandte Begriffe in Zusammenhang. Es ist damit die Aufgabe des Herrschers, den vom Dao [rechten Weg] abweichenden Kurs der Gesellschaft zu korrigieren.
- Wo eine Regierung nicht berichtigt, mahnt der Konfuzianer den rechten Weg an - oder zieht sich zurück.
- Er dient keinem Despoten oder unrechtmäßigen Regenten.
- Den gegen das Interesse des Volkes Wirkenden entzieht er sich
Das Mahnen zum rechten Weg, das sich im Staatsdienst wie in jeder menschlichen Beziehung im Widerspruch äußert, ist notwendiges Kennzeichen konfuzianischer Loyalität.
- Nie blieben ein Fürst ohne Diener, die ihm widersprechen,
- ein Vater ohne Sohn, der widerspricht,
- ein älterer ohne jüngeren Bruder, der widerspricht,
- ein Gebildeter ohne Freund, der widerspricht,
- frei von Fehlern.
So heißt es,
- was dem Fürsten entgeht, findet der Diener,
- was dem Vater entgeht findet der Sohn,
- was dem älteren Bruder entgeht, findet der jüngere,
- was einem Mann entgeht, findet sein Freund.
Derart verstandene Kritik beweist Treue, indem sie den Angesprochenen vor Schaden bewahren will:
- So gefährdet nicht Untergang das Reich,
- nicht Verwirrung das Haus,
- unter Verwandten kommt kein Missverständnis auf,
- und Freundschaft zerbricht nicht.
- Ein Vater, dessen Sohn Widerspruch wagt, gerät nicht in Gefahr sittenlosen Handelns.
- Ein Gebildeter, dessen Freund Widerspruch wagt, tut kein Unrecht.
- Wie sollte es ein Zeichen der Ehrfurcht sein, folgt der Sohn unter allen Umständen dem Willen der Eltern?
- Wie ein Zeichen von Treue, folgt der Beamte unter allen Umständen dem Willen des Herrn.
Nur wer beurteilen kann, wo er zu folgen hat, darf ehrfurchtsvoll und treu genannt werden.
Doch besitzt der Edle genug Umsicht, sein Leben nicht durch solche Mahnungen zu gefährden, die den Zorn eines Diktators erregen und unbedacht verhallen. In einem Staat ohne Dao [rechten Weg] sollte man beherzt handeln, doch seine Worte zurückhalten. In jedem Fall zieht der Edle den Charakter eines Kritisierten in Betracht, wodurch er keinen Unmut provoziert und die Wahrscheinlichkeit steigert, dass sein Widerspruch Gehör findet.
Ein treuer Diener kann den Herrn auf fünferlei Art mahnen,
- auf Umwegen,
- durch unverblümte,
- unterwürfige,
- direkte
- oder ironische Mahnungen.
Man muss in jedem Fall bei der Auswahl seinen Herrn berücksichtigen.
Im Allgemeinen bin ich für ironische Mahnungen.
(Sprach Konfuzius = Meister Kong)
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Hausaufgabe:
- Wie stelle ich fest, ob mein Schulleiter auf dem Dao ist, auf dem rechten Weg?
- Wie stelle ich fest, dass er auf dem Holzweg ist, auf dem vom rechten Weg abweichenden Pfad, so dass ich bei ihm den rechten Weg an-mahnen sollte (wozu ich mindestens fünferlei Art und Weisen zur Verfügung habe) - und mich dann zurückziehen muss, wenn ich keinen Erfolg habe?
Aus den Schul-Gesprächen (Lunyu) des Konfuzius |
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Über Konfuzius sagt man: "Hätte man Konfuzius die Regierung - oder in diesem Falle eine Schul-Leitung - anvertraut, seine erste Maßnahme wäre das Berichtigen der Namen (zheng ming) gewesen". - Der erste Schritt eines erfolgreichen Regierens und Leitens besteht bei Konfuzius im Berichtigen der Namen. Der (gute, weise, edle) Herrscher muss sicherstellen,
dass der Herrscher der Herrscher,Im übertragenen Sinne:
der Diener Diener,
der Vater Vater,
der Sohn Sohn ist. -
dass der Schulrat Schulrat ist,
der Schulleiter Schulleiter,
der Lehrer Lehrer,
der Schüler Schüler.
Vor dem Berichtigen der Namen steht also zunächst ein Klärungs-Prozess: Was sagt Herrscher-Sein, Bürger-Sein, Lehrer-Sein, Lernbegleiter-Sein, Schüler-Sein konkret aus?
Der Meister reiste in eine Provinz,
für deren Verwaltung Zilu seit drei Jahren verantwortlich war. Der Schüler Zigong, der den Wagen lenkte, wunderte sich, dass Konfuzius, lange bevor sie ankamen, wiederholt die effektive Amtsführung des Zilu lobte:
<Meister, Ihr habt Zilu noch nicht bei der Verwaltung gesehen und ihn schon dreimal gelobt. Darf ich seine Vortrefflichkeiten erfahren?>
Der Meister sprach: <Ich sah ihn beim Verwalten. Als ich sein Gebiet betrat, waren alle Felder gut gepflügt und sorgfältig von Unkraut befreit; alle Gräben und Rinnen waren in Ordnung. So sah ich, dass er durch Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit das Vertrauen der Leute gewann, denn sie gaben sich alle Mühe.
Seine Stadt betretend, sah ich, wie alle Mauern und Gebäude fest und solide waren und rings die Bäume üppig standen. Das zeigte, dass er treu und zuverlässig ist und dabei weitherzig, denn die Leute legten nichts auf bloßen Schein an.
Als ich vor sein Amtshaus kam, war alles ganz still und leer, und jeder Diener ging seiner Beschäftigung nach. Das zeigte, wie er mit Weisheit und Scharfblick Prozesse entschied, denn seine Verwaltung vollzog sich ohne Störung.
Von daher wird klar, dass ich nicht zu viel sagte, als ich ihn dreimal lobte. >
Der gute Regierende bedarf keiner oder weniger direkter Interventionen in konkrete Bereiche. Damit Befasste und darin Erfahrene tun alles ihnen nur Mögliche, wenn sie Achtung und Vertrauen zu ihm haben dürfen.
Shun, ein mythischer Herrscher der Vorzeit, regierte nicht aktiv, lobte Konfuzius. Er saß einfach aufrecht auf seinem Thron. Wer sich nur selbst beherrscht und bessert, vermag ohne Schwierigkeiten andere zu regieren. Er gleicht dem Polarstern, der an einem Ort ruht, während andere Sterne ihn umkreisen. ____________________
«Wie groß waren Shun und Yu, die über die Welt herrschten, ohne selbst etwas zu tun.» (Lunyu = Schul-Gespräche VIII, 18)
Idealporträt des mythischen Kaisers Yu, der ohne Befehle herrschte.
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