Montag, 31. Dezember 2012

Von Lerncoaching, Leadership und Facilitation


Classroom-Management 
is a term used by teachers to describe the process of ensuring that classroom lessons run smoothly despite disruptive behavior by students. The term also implies the prevention of disruptive behavior. It is possibly the most difficult aspect of teaching for many teachers; indeed experiencing problems in this area causes some to leave teaching altogether. In 1981 the US National Educational Association reported that 36% of teachers said they would probably not go into teaching if they had to decide again. [Quelle: wikipedia, s. Link)]



Quelle: bildung & wissenschaft Dezember 2012
Im Rahmen der Individualisierung des Unterrichts ( = mehr selbstbestimmtes Lernen - weniger Classroom-Management durch die Lehrkräfte) benötigen die einzelnen SchülerInnen, die nun meistens ca.1/3 ihrer Unterrichtszeit individualisiert lernen, vermehrt Beratung. Für diese Beratung hat hat sich auch der Begriff "Lern-Coaching" eingebürgert. [Siehe dazu z.B. diesen Link zum Kultus-Portal Baden-Württemberg]




Ob sich mehr individualisiertes und selbstbestimmtes Lernen bewährt - bzw. in welchen Punkten es sich bewährt und in welchen nicht - wird von WissenschaftlerInnen empirisch untersucht. Es gibt dazu Tagungen und Bücher, auf/in denen die Forschungsergebnisse diskutiert werde, z.B. das Buch von Prof. Thorsten Bohl von der Universität Tübingen "Selbstbestimmung und Classroom-Management. Empirische Befunde und Entwicklungsstrategien zum guten Unterricht":

"Classroom-Management und Selbstbestimmung im Unterricht– ein ungewöhnliches Begriffspaar, das viele Fragen nahelegt: Was heißt Classroom-Management im offenen Unterricht? Gibt es ein selbstbestimmtes Lernen mit hoch strukturierten Aufgaben? Tatsächlich entstammen die Begriffe Classroom-Management und Selbstbestimmung unterschiedlichen pädagogischen und wissenschaftlichen Traditionen. ... "

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Lern-Coaching & Coaching der Lern-Coaches

Durch das veränderte Lernen der SchülerInnen brauchen auch LehrerInnen veränderte Kompetenzen, insbesondere eine veränderte Grund-Haltung.  Die Literatur dazu heißt dann etwa "Vom Lehren zum Lernen", "Vom Lehrer zum Coach", "Von der Lehrerin zur Lernbegleiterin", "Von der Lehrkraft zum Lern-Partner" ... - oder so ähnlich. Ein Buch mit dem Titel "Vom Schüler zum Coachee" fehlt glaube ich noch in dieser Reihe ;-). 

In der Praxis sieht das z.B. so aus, dass eine Schulklasse nicht mehr einen Klassenlehrer besitzen, der für 30 SchülerInnen zuständig ist, sondern dass die Klasse in 3 Gruppen aufgeteilt wird, und für jeweils 10 SchülerInnen wird dann eine Lehrkraft zum Coach, zum persönlichen Berater. Dieser "Lerncoach" hat nun eine neue Rolle, in die er sich erst einfinden muss: Er ist Fach-Lehrer für die ganze Klasse und (z.B. von Klasse 5-7) Lern-Coach für 10 SchülerInnen aus einer Klasse. Für beide Rollen benötigt er unterschiedliche Kompetenzen: Die methodisch-didaktiktischen Kompetenzen für die Rolle als FachlehrerIn, die jede Lehrkraft in Studium und Referendariat sowieso schon erworben hat, und zusätzliche Kompetenzen in Gesprächsführung, die zugleich eine veränderte Haltung beinhalten und erfordern. (Siehe dazu z.B. das Buch von Hamayer/Pallasch, das oben abgebildet ist). 

Es wird nicht Alles neu, 
doch es kommen neue Kompetenzen und eine neue Rolle zum erlernten Lehr-Beruf hinzu. Und aus Erfahrung kann man sagen: Alle Lehrkräfte, die schon als Lerncoach arbeiten, bezeichnen diesen Teil ihrer Arbeit als eine schöne und neue Erfahrung, die als sehr zufriedenstellend erfahren wird und die Freude am Beruf erhöht. Auch FachlehrerInnen, die bisher niemals KlassenlehrerIn werden konnten, weil sie z.B. nur ein 2-Stunden-Fach unterrichtet haben, werden nun Lerncoach (sein müssen) und erleben dadurch vertiefte und zufrieden stellendere Beziehungen zu ihren SchülerInnen. 


"In den Augen vieler stehen in der Schulerziehung Curricula, Lehrmittel, Verwaltungsfragen und äußere Einrichtungen im Vordergrund. Gewiß sind sie nicht unwichtig. Aber sie sind zweitrangig gegenüber der wichtigsten Bedingung, der zwischenmenschlichen Beziehung Lehrer - Schüler. ... Es (das Buch Lernen in Freiheit von Carl Rogers) zeigt in einzigartiger Weise:
Lehrer können durch ihr persönliches Verhalten die entscheidenden Bedingungen für selbstgesteuertes, selbstverantwortliches Verhalten der Schüler in einer Atmosphäre von Freiheit, Echtheit und Verständnis schaffen, sie können entscheidend die gefühlsmäßige und soziale Persönlichkeitsentwicklung ihrer Schüler fördern."
Dr. Reinhard Tausch, emeritiereter Professor für Psychologie, 
Universität Hamburg, zum Buch: Lernen in Freiheit, Köselverlag München 1974

Erworben werden die ergänzenden Kompetenzen und die neue Haltung in Fortbildungen und Lehrgängen und in anschließenden regelmäßigen Treffen,
(z.B. "Coaching der Coaches" genannt), in denen Erfahrungen ausgetauscht werden und ggf. neue Kenntnisse und Erkenntnisse hinzukommen. Carl Rogers selber hat für diese weitere Rolle nicht den Begriff Coach benutzt, der inzwischen auch ziemlich zum Modewort geworden ist, das man kaum noch hören mag, sondern den Begriff facilitator (Förderer): Der Facilitator fördert, entwickelt, unterstützt (non-direktiv) die Entwicklung von Personen.
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   Es gilt wohl für SchülerInnen und LehrerInnen:

"In Zukunft wird es wichtiger sein, sich gegenüber Neuem angemessen verhalten zu können, als Altes zu wissen und es zu wiederholen.“
(Carl Rogers, 1974)
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Führungskraft - Pädagoge - SchulleiterIn

Was Oliver Wüntsch (siehe redplane Business Coching, Düsseldorf) über die sich wandelnde Kultur in Unternehmen schreibt, lässt sich in manchen Punkten auf die Führungskultur und die Führungskräfte in den Schulen übertragen
  • sowohl auf die Führung eines Kollegiums durch die Schulleitung 
  • als auch auf die Führung der SchülerInnen durch die LehrerInnen: Pädagogik ist ja im Wortsinne die Kenntnis, wie man einen Knaben, ein Kind (pais) führt und leitet. 
Pestalozzi-Denkmal in der Schweiz
Das Entwickeln von Organisations- bzw. Schulkulturen, die 
  • eine offene und kooperative Zusammenarbeit ermöglichen, 
  • das Potenzial der Vielen explizit fördern 
  • und gleichzeitig die Individualität und Kreativität jedes Einzelnen in den Blick nehmen, 
ist die zentrale Herausforderung für die zukünftige Führung von Organisationen und Schulen. Neue dialogisch orientierte Konzepte - auch aus der systemischen Organisationsentwicklung - bekommen dabei eine zunehmende Bedeutung.
Es ist notwendig, im Gesamtsystem einer Organisation bzw. Schule und in ihren einzelnen Bereichen ein Klima zu erzeugen, das Persönlichkeitsentfaltung fördert, Angst vor Innovationsprozessen nimmt sowie kreative Impulse von Führungskräften und MitarbeiterInnen unterstützt und freisetzt statt sie zu unterdrücken
(frei nach Oliver Wüntsch, 2012).

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Wer wirklich kompetent mit Individualisierung und Heterogenität in der Schule umgehen will, der braucht eine Konzeption für seine ganze Schule. Kein Schulleiter und keine Schulbehörde darf die einzelnen Lehrkräfte in ihren Klassenzimmern mit dieser Anforderung alleine lassen. Und jede Schulentwicklung braucht ein Kollegium, das mit einer sehr großen Mehrheit (manche sprechen von mindestens 2/3) hinter den Veränderungen steht. -

"Man kann schnell viel kaputt machen, wenn man zu früh ein Kollegium überfordert und dann kein Erfolgserlebnis hat." ... 
Wenn man eine Schule individualisieren möchte, aber das gesamte Lernklima nicht danach ausgerichtet ist, dann werden Kompetenzpläne, Checklisten, Lernpakete usw. scheitern. Wir müssen bei komplexen Veränderungen in der Schule in Zyklen von etwa 5 Jahren denken. In dieser Zeit kann man viel experimentieren und Erfahrungen sammeln. In Island wurden neue Kriterien für Qualitätssicherung in Schulen eingeführt, jetzt haben die Schulen 15 (!) Jahre Zeit - erst dann werden die Schulen überprüft.
(Nach Thorsten Bohl, b&w Dezember 2012)
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„Drei Bedingungen
sind es, die ein solches entwicklungsförderndes Klima schaffen, ob wir nun von der Beziehung zwischen Therapeut und Klient, Eltern und Kind, Leiter und Gruppe, Lehrer und Schüler oder zwischen Chef und Belegschaft sprechen. Tatsächlich treffen die Bedingungen für jede Situation zu, in der ein Ziel die Entwicklung der Persönlichkeit ist.“
(Rogers, 1986).
  1. Kongruenz (Authentizität,Echtheit, Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit): Die vielleicht grundlegendste und wichtigste Eigenschaft von Menschen mit Führungsaufgaben ist für Rogers die Authentizität. Wenn eine SchulleiterIn/ eine LehrerIn "echt" ist, wenn sie die Person ist, die sie ist, wenn sie, ohne eine Mauer oder eine Fassade um sich aufzubauen, in Beziehung zu ihren KollegInnen, SchülerInnen und Eltern tritt, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie erfolgreich führen kann.
  2. Akzeptanz (Wertschätzende Anteilnahme, Vertrauen): Eine zweite grundlegende Haltung einer Führungskraft ist die Fähigkeit, ihre Mitarbeiter ( bzw. SchülerInnen und deren Eltern) wertzuschätzen, sie zu akzeptieren und ihnen zu vertrauen. Durch die Wertschätzung  bringt eine Führungskraft ihr grundlegendes Vertrauen in deren individuelle Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten zum Ausdruck. Entscheidend ist, das Akzeptieren nicht an irgendwelche Bedingungen zu knüpfen.
  3. Empathie (Einfühlendes Verstehen, Einfühlungsvermögen). Das dritte Element, das ein Klima für selbst-initiiertes, auf Erfahrung beruhendes Arbeiten und Lernen schaffen kann, ist einfühlendes Verstehen. Besitzt eine Führungskraft/eine Lehrkraft die Fähigkeit, die Reaktionen einer Person von innen her zu verstehen, sich "in die Schuhe dieser Person zu stellen", die Dinge aus der Sicht dieser Person anzuschauen, und hat sie ein sensibles Bewusstsein dafür, wie der Arbeits- und Lernprozess für den Mitarbeiter/den Schüler/die Eltern aussieht, dann kann sie vertiefendes Lernen gezielt unterstützen (Rogers, 1974). Empathisches Verstehen gibt der Führungskraft die Freiheit, wie sein Gegenüber zu empfinden und ihn von innen heraus zu verstehen, ohne allerdings die Unterschiedlichkeiten der verschiedenen Rollen und Lebenssituationen zu ignorieren.
    Diese Art des empathischen Verständnis unterscheidet sich deutlich vom wertenden Verstehen einer Führungskraft/ einer Lehrkraft, etwa in dem Sinne des „Ich weiß schon, wo es bei Ihnen fehlt“. Wenn dagegen sensibles Einfühlungsvermögen zum Ausdruck kommt, reagiert der Mitarbeiter/der Schüler/ das Elternteil etwa nach diesem Muster: „Endlich versteht jemand, wie ich mich fühle, wie ich mir vorkomme, ohne dass er mich analysiert oder beurteilen will. Jetzt kann ich endlich zu mir selbst kommen, mich entfalten und lernen“ (Rogers, 1974).
(Nach O. Wüntsch)


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Weitere Literatur:
  • Carl R. Rogers: On Personal Power (1977, deutsch 1980)
  • Carl R. Rogers: Freedom to learn (1969, deutsch 1974)
  • Oliver Wüntsch: Person-Centered Leadership (diverse Artikel, 2009-2012)
  • Peter F. Schmid (s. Link, 2000) 
  • Zeitschrift Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung der GwG, Heft 4/2012

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