Dienstag, 26. November 2013

Früher, in den 1970er Jahren, sprach man mal von Chancengleichheit als Ziel

Um diesen Platz geht es!
CDU-Werbung 1957 (Quelle)



Mit Bildung und dem Ausbau des Bildungssystems war in der Vergangenheit häufig die Hoffnung verbunden, soziale Ungleichheiten abzubauen.

Dass Chancengleichheit nicht wirklich hergestellt wurde, haben die französischen Soziologen Pierre Bourdieu und Jean-Claude Passeron schon in den 1960er Jahren gezeigt.

(Bourdieu, Pierre; Passeron, Jean-Claude: Die Illusion der Chancengleichheit. Untersuchungen zur Soziologie des Bildungswesens am Beispiel Frankreichs. Stuttgart: Klett 1971).

Von der Bourdieuschen Bildungsforschung wird auch der Begriff Chancengerechtigkeit [der jetzt in der aktuellen Bildungs-Politik in BW gebraucht wird] als Teil einer politischen Kampagne kritisiert:

»Chancengerechtigkeit«, wie sie seit Anfang der 80er Jahre in der Bundesrepublik diskutiert wurde, meint jene »Gerechtigkeit«, die die »Leistungen« der Eltern »gerechterweise« an die Kinder weiterzugeben erlaubt und die »ungerechte Gleichmacherei« konterkariert. Sie meint somit nichts als die Legitimation sozial-hereditärer Privilegienweitergabe. [wikipedia]
(Pierre Bourdieu: Wie die Kultur zum Bauern kommt. Über Bildung, Klassen und Erziehung. Schriften zu Politik & Kultur 4)

Wer mehr über Chancengerechtigkeit lesen möchte, kann das bei Bourdieu tun:
Die im 2001 erschienenen Buch  - (das Buch ist vergriffen, wird aber derzeit nachgedruckt und soll ab Januar 2014 wieder zur Verfügung stehen) - zusammengestellten Beiträge des Soziologen Pierre Bourdieu verdeutlichen die Bedeutung des Themas Bildung und vermögen der hiesigen Bildungsdebatte einen Stachel zu versetzen.
»Das letzte Buch von Pierre Bourdieu erweist sich als eine instruktive Sekundärliteratur zur Pisa-Studie: Warum der Begriff 'demokratische Elite' Gerede ist, solange die deutsche Schule Bildungsnachteile von Kindern aufgreift - und verstärkt ... Eliten werden zwar nicht mehr geboren. Dennoch werden sie durch Geburt in einem Kontext verankert, der sie für spätere Funktionen prädestiniert. Schule und Hochschule zu betrachten bedeutete für Bourdieu also zugleich, gesellschaftssteuernde Mechanismen zu analysieren. Nichts hat die Notwendigkeit dazu klarer gezeigt als die Resultate der Pisa-Studie für Deutschland.«
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Christoph Butterwegge, Professor für Politikwissenschaft am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften an der Universität Köln, ist Verfasser zahlreicher Schriften und Beiträge zu seinem Schwerpunktthema Armutsforschung.


Zum Thema Gerechtigkeit und Bildungs-Gerechtigkeit sagt er:

"Mit dem Begriff Gerechtigkeit wird zunehmend Schindluder getrieben. An die traditionelle Vorstellung von Gerechtigkeit wird kaum noch angeknüpft. Früher in den 70er Jahren sprach man mal von Chancengleichheit als Ziel.

Heute nehmen nicht nur die FDP, sondern auch andere Parteien diese Chancengerechtigkeit in ihre Programmatik auf. Damit ist aber gar nichts ausgesagt, es ist so, als würde man mir und allen anderen ermöglichen, zur Lottoannahmestelle zu gehen und Lotto zu spielen. Dann hätten wir diese Art von Chancengerechtikeit.
Eines jedenfalls ist vollkommen unbestreitbar: Gerechtigkeit kann es nur geben, wenn es ein Mindestmaß von sozialer Gleichheit gibt.

Das auszublenden, dass das [soziale Gleichheit] nicht der Fall ist, es möglichst zu verdrängen, ist Ziel der Propagierung von solchen neuen, modischen Vokabeln und Leerformeln. Sprachkritik ist auch sehr wichtig. Die Verdrehung von Worten und Werten, die Umdeutung tradierter Begriffe wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Reform, das ist Sprachmissbrauch als politisches Instrument zum Zweck der ’Gehirnwäsche‘ und Vernebelung ihrer ursprünglichen Bedeutung.

Nur Bildung reicht nicht

In der Zeit des ’Wirtschaftswunders‘ in der Bundesrepublik gab es den Slogan ’Wohlstand für Alle‘, er stammt vom 1957 erschienenem gleichnamigen Buch von Ludwig Erhard.

Heute ist nur noch ’Bildung für alle‘ das Versprechen, 

das die Bundeskanzlerin gibt. Dieses Versprechen, die Armut mit Bildung zu bekämpfen, kann vielleicht für Einzelfälle funktionieren, es ist aber Bildung längst kein Garant mehr dafür, dass sie ein berufliches Fortkommen und gutes Einkommen sichert.

  • 11 Prozent aller im Niedriglohnsektor Tätigen haben z. B. einen Hochschulabschluss. 
  • Selbst im öffentlichen Dienst an den Hochschulen sind es 80 Prozent inzwischen, die nur noch eine befristete Stelle haben. Also das ist ein Bereich, der ja allgemein als gesellschaftlich privilegiert gilt. 
  • Dennoch wird unverdrossen propagiert, es soll aus der Bundesrepublik eine Bildungsrepublik gemacht werden. Wer keine oder nur schlecht bezahlte Arbeit hat, hat eben nicht genug Bildungsanstrengungen gemacht.
  • Tatsächlich ist es aber so, dass bei immer besserer Bildung die Jungen z. B. einfach nur auf höherem Niveau um die Arbeitsplätze konkurrieren, unbezahlte Praktika machen und dass noch mehr Taxifahrer mit Hochschulabschluss herumfahren.
  • Und an den Hochschulen selbst ist die Bildung ja auch ’verschlankt‘ worden. Unter Bildung wird nur noch berufliche Qualifikation verstanden, die Hochschulen sollen in möglichst kurzen Studiengängen, sprich Bachelor-Studiengängen, für den Arbeitsmarkt die erforderlichen Kräfte produzieren." (Quelle und der ganze Text)
Fazit I:
  • "Bildungsversprechen taugen nicht zur Armutsbekämfung." 
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 Fazit II:
  • "Gerechtigkeit kann es nur geben, wenn es ein Mindestmaß von sozialer Gleichheit gibt."
"Es ist ja heute schon so, dass nur noch Rudimente der ehemaligen Ansprüche der Arbeitnehmer und Arbeitslosen übrig geblieben sind.
Dahinter steckt die Absicht, dass der Sozialversicherungsstaat in der Tradition Bismarcks mehr und mehr zu einem Fürsorge-, Almosen- und Suppenküchenstaat gemacht wird.
Im Resultat führt das zu einer ’US-Amerikanisierung‘ unseres Sozialstaats.
  • Und es führt dazu, dass den prestigebedachten Reichen die Möglichkeit eröffnet wird, zu spenden, zu stiften, als Mäzene aufzutreten und Almosen zu verteilen.  
  • Almosen übrigens, die verteilte der Sozialstaat vor seiner Demontage nämlich gerade nicht, weil er die Grundrechte beachten musste und sein Handeln auf Rechtsansprüchen beruhte. Almosenempfänger hingegen haben keinen Rechtsanspruch. Sie sind der Bereitschaft der Reichen ausgeliefert, etwas abzugeben von ihrem Reichtum. 
Projekt der "Breuninger-Stiftung"

... Die Bedürftigen hingegen haben die Freiheit, Wohlverhalten, Bescheidenheit, Fügsamkeit und natürlich auch Dankbarkeit an den Tag zu legen – oder auch nicht."
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Siehe auch:

Dienstag, 19. November 2013

Bildungs-Aufbruch in BW: Wenn der Bus Verspätung hat, nützt es nichts, wenn ich in der ersten Reihe sitze.

Die Landesregierung sieht die Notwendigkeits eines Bildungs-Aubruchs so:

  • Wir vergleichen das deutsche Bildungssystem mit einem Reise-Bus.
  • Die Mitreisenden in diesem Bus sind die deutschen Bundesländer bzw. deren jeweiligen Bildungssysteme. In den nationalen Vergleichs-Tests der letzten Jahre saß Baden-Württemberg (BW) in diesem Bus stets in der ersten Reihe oder zumindest in einer der ersten Reihen, soll sagen, im Vergleich zu den anderen Bundesländern schnitt BW stets gut ab.  
  • Fazit: Kein Grund zur Beunruhigung?

Doch!  Wenn wir die Perspektive ändern.
  • Wenn ich von der nationalen auf die internationale Ebene zoome, dann sehe ich, dass der Reisebus sich in einer langen Schlange von Reisebussen befindet 
  • und zwar nicht vorne in der Schlange, wo wir ihn im Jahre 2000 vielleicht noch vermutet hätten, sondern irgendwo im Mittelfeld dieser Schlange, auf Platz 20 oder so: 
  • Was die Leistungen von 15-Jährigen und Erwachsenen in Mathematik, in der Lesefertigkeit und in Naturwissenschaften angeht, befindet sich Baden-Württemberg (in den PISA-Tests) international im Mittelfeld - da hilft es nicht, wenn wir in unserem eigenen Bus in der ersten Reihe sitze. 
  • Und die neueste Nachricht von 2012: Im Vergleich der deutschen Bundesländer befinden sich die NeuntklässlerInnen in Baden-Württembergs Gymnasien in Mathe auch nur noch im Mittelfeld.  - Überdurchschnittlich sind die Leistungen in Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt. (Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, Berlin, IQB.

Siehe auch:
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Quelle: IQB, Berlin
Die grün-rote Landesregierung sagt also:
 Ja, unser Land ist im nationalen Vergleich immer gut aufgestellt gewesen. Aber der internationale Vergleich rückt dieses Bild gerade.

An-Fragen:
  • Sind diese internationalen Vergleiche der OECD (Pisa u.a.) überhaupt geeignet, die Leistung von Bildungs-Systemen zu vergleichen?
  • Messen sie Leistung? Und das, was "den BürgerInnen" wichtig ist?
  • Wem genau sind diese Ergebnisse wichtig, welche Interessen stecken dahinter?
  • Fahren die o.g. PISA-Busse vielleicht allesamt in die falsche Richtung und wir sollten lieber abbiegen statt an diese Spitze zu drängen? Wer bestimmt die Richtung? "Das Volk" oder EU-Bürokraten? (siehe auch: Lissabon-Strategie zur "Wissensgesellschaft" März 2000)
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Die Landesregierung sagt darüber hinaus:

In BW gibt es (im nationalen und internationalen Vergleich) einen starken Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungs-Erfolg. Primäre Effekte (die Leistung eines Schülers oder einer Schülerin) spielen beim Schulerfolg eine zu geringe Rolle; sekundäre Effekte (soziale Herkunft, sozialer Status, Einkommen und Bildung des Elternhauses) spielen beim Bildungserfolg eine zu starke Rolle: "Wer hat, dem wird gegeben" (der sog. Matthäus-Effekt nach Mt. 25,29) .
Insbesondere dem sozialdemokratischen Koalitionspartner ist es wichtig,
diesen Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg zu entkoppeln 
und die Leistung stärker in den Vordergrund zu rücken. Chancen-Gleichheit könne nicht hergestellt werden - so die Lehre aus der Bildungreform der 70er Jahre - aber mehr Chancen-Gerechtigkeit.


Dem dienen verschiedene Maßnahmen, u.a. Früh-Förderung statt reiner Betreuung schon vor Schule und Kindergarten, Sprachförderung, Ausbau von Ganztagsschulen (mit einem Schwerpunkt in den Grundschulen), Individualisierung der Lehr-Angebote, Abschaffung der Grundschul-Empfehlungen (hier werde ein besonders starker sekundärer Effekt vermutet), statt dessen soll eine verstärkte Beratung in den Grundschulen eingerichtet und ausgebaut werden.

An-Fragen:
  • Bewirken Früh-Förderung und Ganztagsschule nicht eine zu starke Verschulung von Kindheit und Jugendzeit?
  • Hätte man mit der Abschaffung der Grundschul-Empfehlungen nicht noch warten können bis sich die weiterführenden Schulen konsolidiert haben?
  • Was tun, wenn die Kommunen kein Geld zur Verfügung stellen für bauliche Verbesserungen in den Schulen, z.B. Aufzüge für Kinder im Rollstuhl, zusätzliche Räume für individualisierte Angebote? 
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Der zweite rote Faden der aktuellen Bildungspolitik in BW

(neben der stärkeren Entkopplung von sozialer Leistung und Bildungserfolg) sei es,
zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden.
Besorgnis erregend seien der Fachkräftemangel; der funktionale An-Alfabetismus; die geringe Akademiker-Quote unserer Jahrgänge (Platz 23 in der OECD); der sinkende deutsche Anteil am weltweiten Pool hochqualifizierter Experten, der Prozentsatz habe sich in den letzten 20-30 Jahren halbiert (auch weil er in anderen Ländern angestiegen ist).

An-Fragen:
  • Hat die OECD einen "Akademisierungs-Wahn"? (Sichwort:  Prof. Julian Nida-Rümelin)
  • Warum fördern manche Interessen-Gruppen in BW eine Konkurrenz zwischen Gemeinschaftsschulen (GMS) und anderen Schularten (RS, Gym), statt in den verschiedenen Schularten eine sinnvolle Differenzierungsmöglichkeit zu sehen?
  • Wird mit der Einführung der GMS und des neuen 6-jährigen Ausbildungs-Ganges an den
    beruflichen Gymnasien nicht über-differenziert?
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    Mehr zum Thema
    Chancen-Gleichheit und Chancen-Gerechtigkeit
    und "wie die Kultur zum Bauern kommt" auf > Diesem Post.

Montag, 18. November 2013

Von Machiavelli und dem 2-Säulen-Schulmodell


Niccolò Machiavelli, 

14 Jahre älter als Martin Luther, lebte in Florenz. Vielleicht hat Martin Luther im Jahre 1510, als er auf dem Weg nach Rom war, ja mal bei Machiavelli in Florenz vorbei geschaut? Zumindest den jungen Luther bewegten ähnliche Fragen wie Machiavelli, wenn es um die niederen Stände, ihre Bedrückung und ihr Verhältnis zum Adel ging.

Machiavelli "ging es – im Ansatz neutral – darum, Macht analytisch zu untersuchen und die Differenz zwischen dem, was sein soll und dem, was ist, festzustellen. Vor allem aufgrund seines Werks Il Principe („Der Fürst“) gilt er als einer der bedeutendsten Staatsphilosophen der Neuzeit." [wikipedia]
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Das Zwei-Säulen-Modell im Schulwesen:

"Jetzt deutet sich auch bei der CDU in BW ein Kurswechsel zu einem Zwei-Säulen-Modell hin an." Ein vom Landesfachausschuss Bildung der CDU erarbeitetes und mit der Landtagsfraktion abgestimmtes Papier sieht als Zukunftsvision eine Kombination vor von:
  1. Gymnasium 
  2. Quelle: Stadt Esslingen
  3. und einer noch unbenannten Schule mit Haupt- und Realschulabschluss-Möglichkeiten.
Damit reagiere man auf den Schülerrückgang und „die Abstimmung mit den Füßen“ weg von Haupt- und Werkrealschule, erläuterte die Ausschuss-Chefin Donate Kluxen-Pyta am Montag in Stuttgart.

Grün-Rot im Land visiert bereits seit langem ein Zwei-Säulen-Modell an.
[Quelle: Stuttgarter Zeitung 14.10.2013]

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Und hat das nun mit Machiavelli etwas zu tun?

Machiavelli als Empiriker stellt in seinem o.g. Buch als "tatsächliche Wahrheit der Dinge" fest, dass sich nicht die Moral der Politik unterordne, wie erwünscht, sondern dass die Herrscher die Politik als ein Handlungsfeld betrachten, das von der Moral unabhängig sei und auf das die Moral keinen Zugriff habe. Er bedauerte das, stellte es aber als Faktum fest.

Jedes Herrschafts-System - und kein Staat komme um diese Aufteilung herum - beruhe auf auf dem Gegensatz zweier großer "Gruppen" oder "Wesensarten":
  1. Dem Volk einerseits 
  2. und den Herren (der sozialen, politischen, wirtschaftlichen ...) Elite andererseits.
 Aus diesem Gegensatz ergeben sich für Machiavelli drei verschiedene Regierungsformen, die Alleinherrschaft des Fürsten/ die Freiheit/ oder die Anarchie. Grundsätzlich war er der Ansicht:
 "Das Streben des Volkes ist rechtschaffener als das der großen Herren, da diese das Volk unterdrücken wollen". Seine bevorzugte Staatsform war die "Republik", da diese
  • das Interesse der einzelnen BürgerInnen,
  • das Interesse des Gemeinwohls
  • und das Interesse der Unabhängigkeit des Landes
gewährleisten könne. Doch auch in der Republik müsse man stets bedenken, dass der o.g. Gegensatz zwischen Volk und Elite immer bestehe: "In der ganzen Republik gibt es zwei Parteien [...] und alle Gesetze zum Wohl der Freiheit entstehen allein aus ihrer Gegensätzlichkeit."

Volk und Herren haben in der Republik gemeinsam die Macht, doch es muss jemand aufpassen, dass das Volk dabei nicht unter die Räder kommt. Das könne ein Fürst sein, es könne aber auch ein demokratisches Gremium sein. Machiavelli schlug eine Rats-Versammlung, einen großen Rat, als höchstes Gremium einer Volks-Republik vor, eine Versammlung, an der das Volk und die Herren teilnehmen sollen. Die große Zahl der Mitglieder des Rates diene dazu, "gegen die großen Herren und die Ansprüche der Reichen vorzugehen".
Denn: Man müsse die Wahrung der Freiheit des Volkes und der Gleichheit stets denjenigen anvertrauen, "die an ihrer Beeinträchtigung das geringste Interesse besitzen". Es bestehe - auch in der Republik -  die Gefahr, dass nicht "die mit dem größten Verdienst, sondern die mit der meisten Macht" Regierungs-Posten besetzen und dass dann "allein die Reichen und die Mächtigen die Gesetze vorschlagen, wohl weniger zugunsten der Freiheit, denn für die Erweiterung ihrer Macht". - [Quelle: Le monde diplomatique, November 2013]

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Zwei Wesensarten? - Zwei Säulen??

Nun könnte jemand auf den Gedanken kommen, dass jede Säule des Zwei-Säulen-Modells zu einer von Machiavellis "zwei Gruppen" oder "zwei Wesensarten" passen könnte:
Die eine Säule für "das Volk", die andere Säule für "die Herren".
Die eine Säule für diejenigen aus den bildungsfernen Schichten, dem Volk, (hieß es nicht mal "Volks-Schule?), also für die, die später dann die "niedrigen" Schulabschlüsse und die schlecht bezahlten Jobs machen werden -  und die zweite Säule für die aus der Gruppe/Wesensart der gebildeten Schichten, die schon jetzt ... und dann später ... .

Doch nein, das führt jetzt in die ganz falsche Richtung.
Denn: Die eine Säule ist für die, die in der Schule nicht so leistungsfähig sind, und die zweite Säule ist für die LeistungsträgerInnen . Und das wollte Machiavelli doch gerade, dass es im Staatswesen nach Leistung und "Verdienst" und moralisch zugeht, was aber ja nicht gehe, da es in jedem Staatswesen diesen Gegensatz zwischen den zwei Wesenarten gibt, weshalb man in der großen Ratsversammlung eine Lösung finden müsse und dabei aufpassen, dass "das Volk" nicht unter die Räder komme und die Interessen aller einzelnen BürgerInnen und des Gemeinwohls gewährleistet seien. -
  • Wer passt eigentlich gerade darauf auf?
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Siehe auch:

Montag, 4. November 2013

"Gemeinschaftsschule, Einheitslehrer - Ist das Gymnasium noch zu retten?"


Schule im Umbau
In einem kleinen lokalen TV-Sender für die Region Neckar-Alb konnte man neulich eine Diskussion mit kompetenten Gästen verfolgen. Falls man nicht selber live dabei war im Carré der Tübinger Kreis-Sparkasse kann man die Diskussion nachträglich auf youtube anschauen.

Ok, der Titel des Talks war etwas tendenziös: "Einheitslehrer". - Das hört sich nicht wirklich gut an.

Die Diskussion selber verlief recht sachlich - von Ausrutschern und Ausnahmen (besonders beim Politiker) einmal abgesehen.

4 der 5 TeilnehmerInnen sind oder waren LehrerIn an der Geschwister-Scholl-Schule (GSS) in Tübingen. - Das macht durchaus Sinn, denn diese Schule war im 20. Jahrhundert mal für ein paar Jahre Gesamtschule gewesen, und heute beherbergt sie unter ihrem Dach: Die letzte Klasse eine untergegangenen Hauptschule, den letzten Jahrgang (Kl. 10) einer abgeschafften Realschule, drei Jahrgänge des 4-zügigen Schulversuchs "Erweiterte Kooperation" (Kl. 7-9), die ersten zwei Jahrgänge einer 4-zügigen Gemeinschaftsschule (Klassen 5 und 6) sowie ein 4-zügiges Gymnasium (G8). - Also: Ein Haufen Erfahrung ballt sich unter dem Dach mit ca. 150 LehrerInnen und ca. 1500 SchülerInnen. - Die 6. Teilnehmerin des Podiums (die zweite von rechts auf dem Screenschot) war die Präsidentin des Oberschulamtes Tübingen (wie man früher sagte) oder heute: Abteilungspräsidentin der Abteilung 7 des Regierungspräsidiums Tübingen. Abteilung 7 ist die Abteilung für Schule und Bildung. (Keine Schande, wenn man das nicht weiß.  - Außer für LehrerInnen vielleicht.)

Screenshot
Die weiteren TeilnehmerInnen von links nach rechts:
Herr Kern, jetzt Landtagsabgeorneter der FDP in Stuttgart, Studienrat und früher u.a. Referendar an der GSS;
Frau Theune, oberste Schulleiterin für alle Schularten an der GSS; Herr Steck, jetzt Moderator beim Lokalfernsehen, früher u.a. Sportlehrer an der GSS;
Frau Pacher, RP Tübingen (siehe oben),
und ganz rechts (im Bild) Herr Bösing, jetzt Leiter des Staatlichen Seminars für Didaktik und Lehrerbildung in Tübingen, früher u.a. Sportlehrer an der GSS.



Statt auf die z.T. emotionalen Aussagen näher einzugehen, über die siche jede_r eine eigene Anschauung machen kann,  an dieser Stelle nur die "amtlichen" Anmerkungen der Päsidentin der Abteilung für Schule und Bildung,  Frau Pacher:

  • Ich bin jetzt 7 Jahre im Amt, ich habe 4 Minister erlebt. Ich sehe, dass es ein rasantes Tempo ist in der Bildungspolitik, aber es ist jetzt nicht extrem schneller als es zuvor (Einführung von G8, Werkrealschule) war. Was ich mir wünschen würde, dass wir dieses Tempo herausnehmen könnten und überparteilich und über Legislaturperioden hinaus Konsens finden könnten.
  • Das Thema Inklusion
    hat nichts mit einer neuen oder alten Landesregierung zu tun, sondern mit der Unterzeichnung der UN-Konvention und ist daher in ganz Deutschland umzusetzen.
  • Die Lehrerversorgung am Gymnasium nach der Einführung von Gemeinschaftsschulen?
    Der Philologenverband hat bestätigt, dass die Lehrerversorgung an den Gymnasien in diesem Jahr sehr gut ist, dass es möglich war, Überstunden abzubauen.
 
  • Haben Privatschulen mehr Zulauf als früher? 
    Während meiner Amtszeit habe ich erlebt, dass viele neue private berufliche Schulen gegründet worden sind. Aber ich sehe keine Gründungswelle im allgemeinbildenden Privatschulbereich. Wir haben sehr gute, sehr etablierte private Schulen hier im Raum, die haben jeweils ihre Bedeutung, sind aber alle schon sehr lange vorhanden.
Abi-Prüfung in Frankfurt/Main
  • Begabtenförderung am Gymnasium:
    Am Tübinger Uhlandgymnasium gibt es einen Hochbegabtenzug, also den Weg über eine besondere Förderung. Und wir haben im Regierungspräsidium über die letzten 2 Jahre ein EU-gefördertes Projekt gehabt, in dem wir uns speziell mit der Hochbegabtenförderung zusammen mit Partnern in Österreich auseinander gesetzt haben, und wir haben festgestellt, dass es nicht von Beudtung ist, ob die Förderung in einem speziellen Zug erfolgt oder allgemein; wichtig ist, dass es passiert, dass begabte Schüler_innen besonderes Futter bekommen, besondere zusätzliche Aufgaben, so wie auch schächere Schüler_innen besondere Unterstützung brauchen.
  • Spüren Sie aktuell verstärkt Druck von Eltern, Schulen?
    Es ist richtig, dass die Kürzungen, die es in letzter Zeit bei den Lehrer_innen gegeben hat, zu Unmut geführt haben in der Lehrerschaft. Ich habe auch in früheren Zeiten schon Eltern-Proteste erlebt, aber ich erlebe nicht, dass bei der Einführing der Gemeinschaftsschulen starke Elternproteste vorhanden sind.

  • Thema Stunden-Ausstattung:
    Die Gemeinschaftsschule hat die Stundenausstattung der Werkrealschulen. Als gebundene Ganztagsschule hat sie die Stundenausstattung wie jede andere gebundene Ganztagsschule. Und sie hat, wenn sie inklusive Schule ist, diese Begleitung wie jede andere Schule mit Inklusion auch.
  • Was hat sich statistische geändert seit es Gemeinschaftsschulen gibt?
    Im RP Tübingen gibt es 38 Gemeinschaftsschulen, damit steht das RP landesweit an vorderer Stelle. Für die neue Antragsrunde gibt es 13 neue Anträge, das sind landesweit die geringsten Zahlen. -
    Eine große Änderung war der Wegfall der Grundschulempfehlung, dadurch hat sich in allen Schularten etwas geändert. Wir haben einen starken Rückgang bei Haupt- und Werkrealschulen und liegen hier nur noch bei 9-10% im Übertritt.
    Von den Realschulen wissen wir, dass etwa 25-30% eine Hauptschulempfehlung haben, wie bisher auch etwa 70% eine Realschulempfehlung und der Rest eine Gymnasialempfehlung. (? siehe das Beispiel am Ende dieses Posts.) Auch früher sind etwa 25% der Kinder mit einer Gymnasialempfehlung auf eine Realschule gegangen. -
    Und wir wissen auch, dass etwa 10% der Schüler_innen, die auf dem Gymnsium sind, keine Gymnasialempfehlung haben. - Wir wissen das aus dem Vergleich der Grundschulempfehlungen mit den Übertrittszahlen, nicht aus Abfragen an den Schulen, wir sind also nicht schulscharf in dem Bereich.
Ergänzung: An den Gemeinschaftsschulen in BW hatten Anfang 2013
28% der SchülerInnen eine Realschul-Empfehlung
und 12% eine Gymnasial-Empfehlung.

  • Wie sieht es aus mit den Abschlüssen an der Gemeinschaftsschule -
    sind die vergleichbar bei Mittlerer Reife und Abitur? Die müssen vergleichbar sein, denn wir haben eine Kultusministerkonferenz, in der Standards festgelegt werden. Jede Schule in Deutschland stellt sich den nationalen Bildungs-Vergleichen, in Klasse 7 der Gemeinschaftsschulen werden genau die Vergleichsarbeiten geschrieben wie an allen anderen Schulen auch. Die Leistung der Gemeinchaftsschulen wird in diesen zentralen Studien erhoben.
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Ein Beispiel
aus einer Kreis-Stadt im RP Tübingen, ca. 20.000 EinwohnerInnen, ca. 2.300 SchülerInnen, 
1 HS/WRS, 1 Realschule, 1 staatl. Gymnasium, 1 privates Gymnasium, 1 Förderschule:

Der Rektor der Realschule berichtet, wie sich der Wegfall der verbindlichen Grundschul-Empfehlung an seiner Realschule auswirkte:
  • 55 Prozent der Schüler/innen in den jetzigen 5. Klassen kamen mit einer Empfehlung für die Realschule an die Schule,
  • 15 Prozent mit einer Gymnasialempfehlung –
  • und 30 Prozent haben eine Empfehlung für die Haupt- oder Werkrealschule.

Bis zum Schuljahr 2011 / 2012 hatten
  • 70 Prozent der Fünftklässler eine Realschulempfehlung,
  • 30 Prozent eine Gymnasialempfehlung.
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In einer Klasse mit 30 SchülerInnen

Ausgewählte
Realschule bis 2011
(z.Zt. der verbindlichen Grundschulempfehlungen
Dieselbe Realschule 2013

(ohne verbindliche Grundschulempfehlung)
GMS Durchschnitt
2013
HS-Empfehlung
0
9
18
RS-Empfehlung
21
16-17
8-9
Gym-Empfehlung
9
4-5
3-4

Stadt
Stadt
Land BW

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