Rainer Dahlem (Jg. 1946, Gewerkschafter):
Die 70er Jahre waren die Zeit mit großen Auseinandersetzungen um die Schulstruktur – nicht nur in Baden-Württemberg. Das war eine Auswirkung der deutschen Bildungskatastrophe nach dem Sputnik-Schock. Wir brauchten mehr Chancengleichheit, mehr Bildungsbeteiligung und es war klar, dass sich das Schulwesen verändern muss. Es schien nur eine Frage der Zeit, bis Gesamtschulen gegründet werden.
Michael Rux (Jg. 1941, Gewerkschafter):
Man hat das Gymnasium nicht angetastet und die Realschulen ausgebaut. Damals kam die Parole auf: „Schick dein Kind länger auf bessere Schulen“. Damit begann die Abkehr von der Hauptschule. - Wir sind beispielsweise in Freiburg für die Gesamtschulen über die Dörfer gezogen und haben mit Bürgermeistern gesprochen, dass sie die Schulen ausbauen. Aus dieser Bewegung heraus ist die Freiburger Gesamtschule entstanden. Die gegenläufige Entwicklung war, dass viele neue Realschulen und Gymnasien gegründet wurden.
Dahlem: Es gab zu wenig qualifizierte Schul-Absolventen. Heute haben wir mit dem Fachkräftemangel ein ähnliches Problem. Das traditionelle, gegliederte System ist strukturell nicht in der Lage, ausreichend Chancengleichheit zu bieten und ausreichend gut ausgebildete junge Menschen hervorzubringen.
Schulübertritte Schuljahre 1990/92 bis 2012/13: Die Hauptschule wurde von der Haupt-Schule zur Rest-Schule |
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Warum hat es nochmals 40 Jahre gedauert, bis das gemeinsame Lernen wirklich umgesetzt wird?
Rux:
"Alle Menschen, die aufgrund ihrer Bildung oder ihres Vermögens ihr Kind auf eine höhere Schule schicken wollten, haben die Gesamtschule bekämpft. Wir haben verloren, weil wir keine Mehrheit fanden, die Gesamtschule als alleinige Schulform einzuführen. Solange neben der Gesamtschule ein Gymnasium steht, werden alle Leute, die es sich leisten können, ihre Kinder aufs Gymnasium schicken."
Das trifft für die Gemeinschaftsschule heute genauso zu.
Rux:
Das ist der Geburtsfehler der Gemeinschaftsschule.
Die jetzige Landesregierung hat die Hamburger Volksabstimmung vor Augen und das möchte man hier nicht noch einmal erleben. Was hier wohl los wäre, wenn die neue Koalition die Gemeinschaftsschule auch nur in einem Stadtteil als alleinige Schulform einführen würde? Das würde eine Revolution von oben auslösen.
Dahlem: Die Gesamtschule hat in Deutschland nie eine Chance gehabt. Das ist die Tragik sozialdemokratischer Bildungspolitik, dass sie Gesamtschulpolitik immer nur mit halbem Herzen gemacht hat.
Es wird sich zeigen, ob es der grünroten Landesregierung gelingt, die Gemeinschaftsschule auf eine breitere Basis zu stellen. Die dramatische Veränderung der Übertrittquoten hat ihre Ursache darin, dass Eltern wollen, dass ihre Kinder bestmögliche Bildung erreichen. Deshalb gab es immer wieder Versuche, den Zustrom zum Gymansium zu begrenzen. Klar ist schon, bestimmte Bürgerschichten wollen, dass das Gymnasium für ihre Kinder erhalten bleibt.
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Warum sind heute Gesamtschulen so erfolgreich?
Siehe dazu auch:
Bilanz der Gesamtschule Mannheim-Herzogenried
Seit 2006 vergibt die Robert-Bosch-Stiftung zusammen mit der Heidehofstiftung, dem Stern und der ARD den Deutschen Schulpreis. Sie würdigt Schulen für ihre vorbildliche pädagogische Leistung, die damit einen wichtigen Impuls für die Entwicklung von Schule und Unterricht in Deutschland setzen. Den Hauptpreis mit 100.000 Euro erhielt 2011 die Integrierte Gesamtschule Göttingen.
Einfach war der Weg dieser Integrierten Gesamtschule (IGS) nicht. Zunächst als „Idioten-Gesamtschule" verschrien, erarbeite sich die Schule in beharrlicher Aufbauarbeit einen Ruf als leistungsfähige Schule, deren Plätze begehrt sind:
180 Schüler/inne werden jährlich in Klasse fünf aufgenommen und aus doppelt so vielen Anmeldungen ausgewählt - entsprechend der prozentualen Verteilung von Empfehlungen im Göttinger Gesamtdurchschnitt. Wer dabei sein will, muss zum Konzept der Schule stehen.
Der Andrang ist groß, obwohl es in der Universitäts- und Wissenschaftsstadt Göttingen ein breites Angebot traditioneller Gymnasien gibt.
Einfach war der Weg dieser Integrierten Gesamtschule (IGS) nicht. Zunächst als „Idioten-Gesamtschule" verschrien, erarbeite sich die Schule in beharrlicher Aufbauarbeit einen Ruf als leistungsfähige Schule, deren Plätze begehrt sind:
180 Schüler/inne werden jährlich in Klasse fünf aufgenommen und aus doppelt so vielen Anmeldungen ausgewählt - entsprechend der prozentualen Verteilung von Empfehlungen im Göttinger Gesamtdurchschnitt. Wer dabei sein will, muss zum Konzept der Schule stehen.
Der Andrang ist groß, obwohl es in der Universitäts- und Wissenschaftsstadt Göttingen ein breites Angebot traditioneller Gymnasien gibt.
Das unterscheidet diese Schule auch von den startenden Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg. Letztere entwickeln sich nahezu ausschließlich aus Haupt- und Realschulen.
Der Anteil gymnasialer Schüler/innen an der Göttinger IGS liegt deutlich höher und entsprechend hoch ist auch der Anteil gymnasialer Lehrkräfte im Kollegium. Im Abitur-Ranking stand diese Schule in Niedersachsen auf Platz zwei und ließ nahezu alle Gymnasien hinter sich. Spannend ist, dass viele Kinder das Abitur schaffen - die ursprünglich nur eine Hauptschulempfehlung hatten.-
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„Auf die richtige Mischung kommt es an“ –
sagte Lars-Humrich, der didaktische Leiter der Schule, der nach fünf Jahren am Hochbegabten-Gymnasium im Schwäbisch Gmünd nach Göttingen zurückgekehrt ist.
Ein Widerspruch? „Nein", sagt er und erklärt, was ihn an beiden Schulen reizt:
„Die intensive Beziehung zu den Schüler/innen ist die Voraussetzung für jeglichen Lernerfolg.“ „Das WIR betonen, das Ich stärken"
lautet das Motto der Schule, die in jeder Jahrgangsstufe auch eine Integrationsklasse anbietet und alle Kinder zu individuell angemessenen Abschlüssen führt. Das schafft sie ohne Noten bis Klasse acht. „Persönliche Lernentwicklungsberichte können Kinder besser fördern als herkömmliche Noten", sagen die Lehrkräfte. Und der Erfolg gibt der Schule Recht.
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Fazit/ Hypothese/ Prognose:
- Außer in ländlichen Bereichen, in denen die Strukturen noch so stimmig sind, dass die regionalen Betriebe ihre Auszubildenden aus den Hauptschulen der Region rekrutieren können, haben Hauptschulen keine Chance. (In Heidelberg ging die Zahl der Anmeldungen zur Hauptschule für das Schuljahr 2012/13 von 94 auf 29 SchülerInnen zurück (= 3 von 100 Fünftklässlern). In Mannheim von 923 auf 550 (= 12 von 100 Fünftklässlern). In Heilbronn von 341 auf 171 (= 16 von 100 Fünftklässlern). Hauptschulen werden immer stärker zu Rest-Schulen.
- Weniger SchülerInnen als bisher gehen trotz Gymnasial-Empfehlung auf die Realschulen, sie probieren es erst einmal auf dem Gymnasium.
- Diese SchülerInnen neigen dann zu G9-Gymnasien, wenn eins in der Nähe ist, statt zu G8.
- Die Gemeinschaftsschulen könnten/werden dann zu neuen Hauptschulen werden, wenn sie nicht eine gymnasiale Oberstufe anbietet, potenziell das Abitur versprechen und Angebote für potenzielle Besucher der gymasialen Oberstufe ("Kurs-Stufe") machen.
- Auf der Gemeinschaftsschule muss von Kl. 5 an eine bestimmte Anzahl, eine kritische Masse, von Kindern mit Gymnasialempfehlung vorhanden sein, sonst ist sie für Eltern, die aufgrund ihrer Bildung oder ihres Vermögens ihr Kind auf eine höhere Schule schicken wollen, nicht akzeptabel.
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