Neulich auf einer Grillparty
redete ich mit einigen empörten LehrerInnen, die sich über die Ideologen ärgerten, die behaupten, dass Schüler gerne lernen.
Die Ideologen sind in diesem Fall die Schulreformer und Hirnforscher, die am grünen Tisch schöne Ideen haben - zum Beispiel, dass alle Kinder doch eigentlich von Natur aus gerne lernen - eine schöne Theorie, die aber eben in das Reich der Ideen gehören und nicht in das Reich der Tatsachen. - Man sollte die Wahrheit in den Fakten suchen - und nicht Dinge behaupten, von denen man keine Ahnung hat."Wenn man 25 Jahre als Lehrer gearbeitet hat, dann weiß man, dass das Unfug ist!" -
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In der WELT vom 2.2. 2013 schreibt der Gehirnforscher Gerald Hüther über das Lernen. Titel und Einleitung der WELT-Redaktion:
Wenn die empörten LehrerInnen von der o.g. Grill-Party dies lesen, werden sie sich zunächst einmal angegriffen fühlen, denn im Umkehrschluss könnte man den Satz so verstehen:Jedes Kind lernt gerne – aber nur ohne Druck.
Hirnforscher wissen, wie Kinder gut lernen: Wenn sie es mit Begeisterung tun. Dazu aber bietet ihnen der Unterricht gerade wenig Anlass – ein entscheidender Ansatzpunkt für erfolgreiche Schulreformen. Von Gerald Hüther
"Hirnforscher wissen, wie Kinder gut lernen - Lehrer wissen es nicht."
Wenn die Kinder nicht gut lernen, wenn die Kinder nicht gerne lernen, dann bist DU, LEHRER_IN, dafür verantwortlich, denn DU hast es nicht geschafft, die Kinder zu begeistern. DU beherrscht dein Handwerk nicht".
Lehrer aus der Sicht eines Hirn-Forschers ? |
Im gleichen Sinne übrigens in einem Elternbrief der Stadt Regensburg:
"Kinder lernen gerne". Und wenn sie nicht gerne lernen, hast du ihnen wahrscheinlich nicht genügend Schlaf gegeben, oder ihnen kein gesundes Essen gegeben, ihnen den Umgang mit Medien nicht beigebracht, nicht genug für ihre Bewegung gesorgt - wie das "gute Eltern" tun würden.- Jeder Rat-Schlag ein Schlag.
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Dazu sind 3 Dinge zu sagen.
1. Es stimmt natürlich, dass in der Gehirnforschung in den letzten Jahren neue Erkenntnisse gewonnen wurden
doch die Hirnforschung umgibt sich manchmal im Bereich Lernen&Schule mit einem quasi-religiösen Mythos, der bei einigen ZuhörerInnen und LeserInnen Bewunderung und Leichtgläubigkeit hervorrufen mag - bei anderen aber auch Ärger.
Siehe dazu: Von Neuro-Biologie und Neuro-Mythologie.
Eigentlich können die Neurobiologen heute nur physiologisch erklären, was die Menschheit aus Erfahrung schon lange aus Erfahrung weiß;
und manchmal leiten Forscher von ihren Ergebnissen steile Thesen und Prognosen ab, die un-redlich sein können, un-angemessen oder un-wissenschaftlich.
(O.k.: Oft häufig sind es ja gar nicht die WissenschaftlerInnen selber, sondern die Presse, die tolle Schlagzeilen produziert, die der Aussage der ForscheInnen selber nicht gerecht werden oder ihr gar widersprechen. Denn: Sensation sells. )
2. Es stimmt natürlich, wenn Eltern und LehrerInnen sagen, dass ihre nämlich ihre Kinder bzw. ihre SchülerInnen nicht immer gerne und nicht immer Alles lernen, was sie lernen sollten.
Es stimmt auch, dass es schön wäre, wenn jede Lehrkraft jeden Tag und jeden Morgen ohne Druck 6 Stunden lang jeweils neue 32 SchülerInnen zur gleichen Zeit für die gleiche Sache begeistern könnte, so dass diese Kinder und Jugendlichen dann wirklich alle Alles und gerne lernen, was der Bildungsplan verlangt. - Eine wirklich schöne Idee.
3. Es stimmt auch, dass jeder Mensch von Natur aus ständig und gerne lernt,
aber was und wann - das entscheidet er alleine:Laufen lernen, Fahrradfahren lernen, den Autofahren lernen, chatten lernen, ein Spiel lernen, ein Smartphone bedienen lernen, tanzen lernen, einen Knoten lernen, Tore schießen lernen, filzen lernen, Windows 8 lernen ... . - Vieles lernt man von Natur aus ständig und ganz freiwillig und manchmal mit Begeisterung: Wenn es mich interessiert, wenn ich es brauche, wenn es mir Spaß macht, einfach nur weil ich die Welt begreifen will - und manchmal auch, weil ich diese Prüfung bestehen will, die ich für meinen Lieblings-Studium oder meine Traum-Lehrstelle brauche.
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Siehe auch:
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Das ist vielleicht das, was manch ein Hirnforscher uns sagen wollte.
Und daraus entsteht dann nicht unbedingt ein Vorwurf oder eine Schuldzuweisung an die jede Schule und jede Lehrkraft, sondern eher eine Frage:
Wie kann ich so viel wie möglich davon auf die Schule übertragen? Gibt es wirklich neue Erkenntnisse, von denen ich als LehrerIn profitieren kann und somit auch die anderen Lernenden in der Schule? Welche Unterstützung brauche ich als LehrerIn, als Schulleitung, als SchulträgerIn, wenn ich möglichst viel Lernen in meiner Schule ermöglichen will? - Ist Schule, so wie sie heute zumeist angelegt ist, überhaupt noch zeitgemäß oder brauchen wir eine "Entschulung der Gesellschaft"? -
Die Wahrheit muss man in den Fakten suchen, wie Deng Xiaoping zu sagen pflegte.
Und Neurobiologie alleine reicht für Antworten ganz sicher nicht aus, sie liefert vielleicht sogar die wenigstens Antworten, auch wenn sich manch ein Hirnforscher (Sie wissen schon...) anders inszeniert.
Gerald Hüther schreibt a.a.O.:
Es gibt zwei Annahmen, die in der Gesellschaft zwar weit verbreitet, aber aus neurobiologischer Sicht nicht haltbar sind.
Gute Lernerfahrungen dagegen gelingen, wenn Kinder sich in Beziehung zu dem Gegenstand ihres Lernens setzen können – wenn es ihnen also selbst wichtig ist, das zu lernen. Und wichtig ist einem etwas immer dann, wenn es einem unter die Haut geht, wenn es begeistert. Dann lernen Kinder alles, und dann lernen sie sogar mit Hingabe. [..]
- Die erste Annahme heißt: Kinder können alles lernen. Dagegen sagt die Neurobiologie: Nein, Kinder können nicht alles lernen, sondern sie lernen nur das, was für sie bedeutsam ist. Wenn ich unter Druck gesetzt werde und Mathe lernen soll, dann ist das Mathelernen nur ein Nebeneffekt, denn vor allem lerne ich, wie ich den Druck wieder loswerde. [...]
- Die zweite Annahme: Kinder können immer lernen. Auch das stimmt [...] so nicht. Wenn es einem nicht gut geht, dann lernt man nur, um aus diesem schlechten Zustand herauszukommen. Kinder sind nur dann offen für alles, was es zu lernen gibt, wenn es ihnen gut geht.
Unter Leistungsdruck geht es ihnen nicht gut, unter Konkurrenzdruck auch nicht, und vor allem geht es ihnen nicht gut, wenn sie als Objekt behandelt werden. Wenn sie Gegenstand von Maßnahmen sind, also von Belehrung, von Bewertung und Beurteilung. Das verletzt ihr Grundbedürfnis, als autonome Wesen wahrgenommen zu werden. [...]
- "Ja, aber das wussten wir auch schon vorher", wird manch Eine/r nun sicher sagen...
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