Freitag, 29. März 2013

Gemeinschaftsschule in BW ist kein "rotes" Projekt - Und auch kein "grünes"


Ist es so?

Vergleiche: Bohl/Meissner: Expertise Gemeinschaftsschule.
Forschungsergebnisse und Handlungs-Empfehlungen
für Baden-Württemberg. Beltz 2013


Siehe auch: Der Geburtsfehler der Gemeinschaftsschulen in BW.
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Schule "on demand"
Die Gemeinschaftsschule (GMS) in BW wird nicht flächendeckend eingeführt, die ist eine "Schulform on demand", d.h. sie muss von der Kommune beantragt werden, und dann wird zunächst im Kultusministerium (KuMi) geprüft, ob diesem Antrag - auf Grund bestimmter Kriterien - statt gegeben wird.

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In der ersten Staffel (2012/2013) wurden in BW 42 Gemeinschaftsschulen genehmigt. Wenn man sich anschaut, welche Parteien in diesen Kommunen die BürgermeisterInnen stellen, dann sieht das nicht rot und nicht grün aus:

Insgesamt gibt es 1109 Kommunen in BW.
42 davon haben in diesem Schuljahr eine GMS genehmigt bekommen.

Davon haben
  • 3 einen SPD-Bürgermeister,
  • 1 einen grünen Bürgermeister,
  • die meisten (16) einen CDU-Bürgermeister.
Die verbliebenen 22 teilen sich auf:
  • parteilos 11,
  • freie Wähler 7,
  • FDP 2,
macht zusammen 40; (zwei bleiben irgendwie übrig).
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Quelle: Kultus-Portal BW
Warum Gemeinschaftsschulen entstehen.
In der Praxis überwiegen zwei pragmatische Gründe:

Der demographische SchülerInnen-Rückgang
Der Trend weg von der Hauptschule. Vor 20 Jahren war die Hauptschule wirklich noch die Haupt-Schule, d.h. die meisten Kinder eines Jahrgangs gingen auf die Hauptschule. Heute wünschen sich nur noch 2% aller Eltern einen HS-Abschluss für ihr Kind. De facto gingen 2012 in BW 41% auf das Gymnasium, 34% auf eine Realschule und nur noch 24% auf eine Hauptschule.

Aus diesem Grunde mussten viele Gemeinden ihre Hauptschule (oder Werkrealschule, WRS, was in BW eine Hauptschule mit Klasse 10 ist) schließen, und die Hauptschul-Kinder der Gemeinde mussten in die nächste der Gemeinden fahren, in der es eine Hauptschule (HS) gibt. Die Lösung:
Wir beantragen eine Gemeinschaftsschule, dann können wir auch RealschülerInnen aufnehmen - und der Schul-Standort meiner Gemeinde ist gesichert. Die BürgermeisterIn freut sich und die Eltern der sog. "HauptschülerInnen" ebenso, denn die Schule bleibt im Ort und die früheren "Rest-SchülerInnen" werden nun gemeinsam mit "höheren" SchülerInnen unterrichtet. Das erspart Beschämung und Stigmatisierung. - (Ob es auch für das Lernen gut ist, bleibt an dieser Stelle erst einmal außen vor.)

Auch der Finanzminister der Landesregierung freut sich, denn die 377 Gymnasien im Ländle hatten über 300.000 SchülerInnen (also im Schnitt ca. 820 pro Schule), aber die ca. 158.000 HauptschülerInnen hatten 1176 Schulen, (also im Schnitt nur etwa 135 SchülerInnen pro Schule). - Da kann Geld eingespart werden. (Ob es auch für das Lernen gut ist, bleibt an dieser Stelle erst einmal außen vor.)

So treffen sich die Interessen von BürgermeisterInnen, Finanzminister und (zumindest) der HS-Eltern und LehrerInnen. Das war eine günstige Ausgangslage.

Die hat mit Pädagogik & Bildung zunächst mal nichts zu tun, doch wenn es nun auch noch dem besseren Lernen dient, dann würde es schon passen:

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"Schulträgern und Schulen wird es nun gelingen müssen, überzeugend zu vermitteln, dass es nicht allein um Standortsicherung unter verändertem Namen geht, sondern dass es ein qualitativ hochwertiges pädagogisches Konzept gibt, mit dem alle Kinder gleichermaßen optimal gefördert werden."
 Prof. Isabell von Ackeren, Uni Duisburg-Essen

Wenn man die Eltern der GMSn fragt 

(so geschehen in Berlin 2010), dann sagen 90% dieser GMS- Eltern, dass sie dieseSchulart gewählt haben, weil die GMS alle Abschlüsse anbietet, also auch das Abitur, ohne dass das Kind zwischendrin die Schule wechseln muss. -
  • Wenn ich also mein Kind auf eine GMS schicke, habe ich die Option auf alle Schulabschlüsse inklusive Abitur. Quelle
Nicht zu vernachlässigen eine Erfahrung aus den Regionen, in denen es Gesamtschulen gab und gibt: Es hört sich besser an, wenn ich den NachbarInnen sagen kann "Mein Sohn geht auf die Gesamtschule" oder "Meine Tochter geht auf die Gemeinschaftsschule", (weil dann die Option Abitur noch eingeschlossen ist) als wenn ich sage: "Mein Kind geht auf die Hauptschule". - Ein nicht zu vernachlässigender sozialpsychologischer Faktor.

Wie war das eigentlich damals bei den Gesamtschulen?

In den 1970er Jahren wurden in BW 7 Gesamtschulen gegründet (6 als Versuchsschulen (in Heidelberg, Mannheim-Herzogenrieth, Stuttgart-Neugereuth, Tübingen, Weissach im Tal, Weinheim) und 1 als Modellschule in Freiburg. Davon sind noch 3 dieser sog. Schulen besonderer Art übrig geblieben (in Mannheim, Freiburg, Heidelberg).
Anders als heute mussten damals - in der Zeit der Ersten Bildungs-Expansion - neue Schulen gebaut werden, weil die Schülerzahlen anstiegen. Die Gesamtschulen waren daher Neubauten mit neuen LehrerInnen, die sich gezielt dorthin beworben hatten. Das Durchschnittsalter der Kollegien lag dadurch oft eher bei 30 oder weniger als bei 40.

Neben der Demographie spielte auch eine Rolle, dass "Arbeiter-Kinder" besser gefördert werden sollten als im 3-gliedrigen Schulsystem (Kompensatorische Erziehung) und der so genannte Sputnik-Schock.

Die neuen Gemeinschaftsschulen in BW heute haben es insofern schwieriger als die damaligen Gesamtschulen; denn heute müssen sich jeweils 2 oder sogar 3 eingespielte Kollegien mit eingespielten Strukturen zu einer Gemeinschaftsschule zusammenraufen, die Schulgebäude sind nicht von vorne herein für die Bedürfnisse der neuen Schulart geplant worden usw.

Was man daraus schließen kann

Von den 42 Starterschulen des Schuljahres 2012/2013 sind nur 26 in ihrer Existenz auf Grund der Schülerzahlen gesichert, 16 aber gefährdet: Wenn die SchülerInnenzahl dieser 16 nur um wenige Anmeldungen zurück geht, werden sie geschlossen.
Wenn der Standort auf Grund der Schulplanung in der Region gesichert ist, dann besteht die Möglichkeit, dass die neue Gemeinschaftsschule zur Werkrealschule unter neuem Etikett wird. - Wenn sie das nicht will, dann muss sie sich im Wettstreit mit den anderen daneben existierenden Schularten profilieren. Gibt es in der Nähe ein G9-Gymnasium, hat sie wahrscheinlich besonders schlechte Karten...

Eine GMS braucht dehalb:
  • Das Angebot aller Schulabschlüsse inklusive Abitur, gegebenenfalls in enger Kooperation mit einem Gymnasium, wenn sie selber nicht genug SchülerInnen für eine eigene gymnasiale Oberstufe "produziert".
  • Förderung schwacher SchülerInnen, (damit sie nicht auf die Förderschulen abgeschult werden).
  • Förderung leistungsstarker SchülerInnen, damit die Schule auch die Kinder des Bildungs-Bürgertums anzieht.
  • Gutes tun und darüber reden, also ein attraktives Profil gegenüber konkurrierenden Schulen und Gymnasien - und das auch der Öffentlichkeit vermitteln. -
  • Dass man an einer GMS das Abitur in 9 Jahren statt in 8 Jahren ("G9" statt "G8") erreichen kann, hat z.B. eine sehr große Attraktion, wenn es in der Stadt keine G9-Gymansium gibt. 
Davon profitiert z.B. die Gemeinschaftsschule an der Geschwister-Scholl-Schule in Tübingen, die
  • a) eine gymnasiale Oberstufe im selben Haus hat und
  • b) keine G9-Konkurrenz in der Universitätsstadt. -So kann sie 4-zügig fahren (statt vorher 2-3 zügig als Realschule).
Aus eben diesem Grunde hat auch die Stadt Esslingen beschlossen, dass es kein G-9-Gymnasium in der Stadt geben soll. Wer das Abitur in Esslingen in 9 Jahren machen will, muss sein Kind auf eine GMS schicken.
  • Eine gute Kooperation mit anderen Bildungs-Anbietern in der Nähe (z.B. Volkshochschulen, Stadt-Bücherei, Sternwarte, Vereinen (z.B. Musik- und Sport-Vereinen) und auch: Jugendzentren, Jugendhilfe, Kirchen... - je nach der Situation vor Ort.
  • Ein besonderes Profil, z.B. Sport-Profil ("Jugend trainiert für Olympia"...), Kunst-Profil, Big Band, Posaunen-Chor, Orchester, "Schule ohne Rassismus- Schule mit Courage" ... .
Übrigens:
  • In der ersten Staffel (2012/2013) haben sich in BW 39 Hauptschulen/Werkrealschulen beworben und nur 2 Realschulen.
  • In der zweiten Staffel (2013/2014) 116 Haupt-/Werkrealschulen und nur 4 Realschulen.
  • Keine Gymnasien in beiden Staffeln.
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Bild-Quelle: Kultus-Portal BW



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