Samstag, 23. Mai 2020

Die fortschrittlichen islamischen Herrscherinnen ließen die Männer tanzen


Muslimische Frauen  haben einmal die Provin Bhopal in der britischen Kolonie Indien regiert.

Nawab, das war der typische Titel für einen männlichen muslimischen Herrscher auf dem indischen Subkontinent. (Die nicht-islamischen Fürsten Indiens kennen wir unter dem Titel "Maharaja".) Die Frauen unter den Nawabs führten den Titel "Begum".

Bhopal war bis 1949 der zweitgrößte Staat des Subkontinents,
in dem Muslime herrschten und ist heute die Hauptstadt der zentralindischen Provinz Madhya Pradesh. Bekannt wurde Bhopal in der jüngeren durch eine der größten Katastrophen in der Geschichte der industriellen Chemie. Im Werk einer Tochtergesellschaft der Union Carbide Corporation, wurden rund 40 Tonnen Methylisocyanat (MIC) in die Atmosphäre freigesetzt und trieben in einer Giftgaswolke dicht über dem Boden durch ein angrenzendes Elendsviertel und betraf etwa eine halbe Million Menschen.

Ende des 17. Jahrhunderts eroberte der pastunische Afghane Dost Muhammad Khan 
(1672–1740), "ein opportunistischer Glücksritter, Ex-Soldat und ehemaliger General des Großmoguls Aurangzeb" (1618–1707) das Gebiet, um auf den Trümmern des zerfallenen Mogulreiches seinen eigenen Staat Bhopal zu errichten.
Im Jahre 1723 wurde der Ort Bhopal zur Hauptstadt des Fürstenstaats erklärt und blieb es bis 1956. Die von Dost Muhammad Khan gegründete islamische Dynastie im mehrheitlich hinduistischen Indien sollte zu einer der bedeutendsten Herrscherfamilien Zentralindiens werden. - Als Shajahan, die dritte von vier Herrscherinnen(!), 1868 den Thron bestieg, hatten die Begums Bhopal bereits zu einem modernen und erfolgreichen Staat gemacht
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  •  Von 1820 bis 1926 regierten in Bhopal ausschließlich Frauen. 

Die vier Fürstinnen (Großmutter, Mutter, Tochter, Enkelin) ließen nicht nur noble Bauwerke wie Paläste und Moscheen errichten, sondern u.a. auch Wasserwerke, ein Eisenbahn-  und ein staatliches Post-System, eine Girls-School, eine Universität ... .
Die drei Moscheen aus Sandstein prägen noch heute das Stadtbild Bhopals.

Quelle
Die Jama-Masjid-Moschee mit ihren roten Sandsteinmauern und gedrungenen Minaretten wurde im Jahre 1837 auf Veranlassung von Qudsia Begum (1801–1881), der ersten weiblichen Herrscherin von Bhopal, erbaut. Qudsia hatte im Jahr 1819 nach der Ermordung ihres Ehemannes auf Druck ihrer energischen Mutter die Herrschaft übernommen. Der Familie waren die männlichen Erben ausgegangen. Daraufhin habe die Witwe des ermordeten Fürsten, Mamola Bai, ihre Tochter kurzerhand zur Thronfolgerin erklärt. Diese war zu der Zeit 18 Jahre alt. Sie selber, die Fürsten-Witwe Mamola Bai, war die erste Frau, die in Indien einen Staat regierte.
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"Nach islamischer Tradition ist es den Frauen nicht erlaubt, an der Regierung teilzuhaben.
Ihre Gegner fingen sofort an, dagegen schwere Geschütze aufzufahren: Den Koran, den Islam. Sie scherte sich nicht darum und es gelang ihr sogar, eine Fatwa, ein Rechtsgutachten vom obersten Mufti und Religionsgelehrten Bhopals zu erhalten, in dem bestätigt wurde, dass nichts im Islam der Herrschaft einer Frau entgegenstehe. Mit diesem Gutachten in der Hand setzte sie ihr Anliegen durch, die Thronfolge ihrer 18 Monate alten Tochter Qudsia. Und sie sagte: Wer daran rüttelt, kriegt es mit mir zu tun. So begann sie selbst zunächst als Regentin über Bhopal zu herrschen." (Quelle: Feature Marc Thörner, DLF 2008)

"Qudsia Begum – die kleine Tochter, die dank der Beharrlichkeit ihrer Mutter auf den Thron gelangt war – bescherte Bhopal Mitte des 19. Jahrhunderts eine Blütezeit. Als sie am Ende ihrer Herrschaft stand, hatte auch sie wieder über die Thronfolge zu entscheiden.

Mit einem Blick auf die in Frage kommenden Prinzen musste die Fürstin feststellen, dass die Männer der Familie entweder korrupt, geistig zurückgeblieben, den Prostituierten oder dem Alkohol verfallen waren. Frauen, so schlussfolgerte sie, seien gegen derartige Versuchungen offenbar besser gefeit und bestimmte ihre Tochter Sikandar zur nächsten Herrscherin.
Die folgte Mitte des 19. Jahrhunderts dem inzwischen bewährten Prinzip und setzte ihre Tochter Shajahan als Kronprinzessin ein." (a.a.O.)
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Thronfolgerin und Ur-Enkelin Abida Sultaan (1913-2002), die die fünfte Begum geworden wäre, verzichtete nach der Unabhängigkeit und der darauf folgenden Aufteilung Indiens in das muslimische Pakistan und das hinduistische Indien auf die Nachfolge und emigrierte 1950 nach Pakistan.
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1932 in London. "Prinzessin Abida Sultaan"
ist die zweite Person von rechts.
Ganz links ihr Vater.  Quelle
"Prinzessin" Abida:  
Die Mehrheit unserer Mitarbeiter bestand aus Hindus, denn die Bevölkerung Bhopals war zu 88 Prozent hinduistisch oder nicht-islamisch. Nur eine kleine Herrschaftselite bestand aus Muslimen.Unser Premierminister war ein Hindu. Unser Finanzminister war ein Hindu. Die Mehrheit unserer Mitarbeiter bestand aus Hindus.

In Pakistan sagte sie am Ende ihres Lebens über die Politiker Pakistans: Was wissen die von Demokratie? 

Das sind alles Sklaventreiber. Selbstsüchtig. Korrupt. Sklaventreiber, weiter nichts. Alles, was in Pakistan jemals gewählt wurde, ist Geld. - Geld, darum geht es, das ist alles. Wer am meisten bezahlt, bekommt die Stimme. Sogar Minister wechseln über Nacht die Partei. Die haben keine Prinzipien. Keine Bildung. Es herrscht eine Sklaven- und Sklaventreibermentalität. Ein völliger Mangel an Selbstachtung. Keine Spur von Schamgefühl. 
Die Demokratie sei für die Muslime schon nach dem Tod Mohammeds zu Ende gewesen, schon bei der Schlacht von Kerbela, im Jahre 680, als die Anhänger Alis, die Schiiten, und die Anhänger der Mehrheitsrichtung der Omajaden ihre Meinungsverschiedenheiten mit der Waffe in der Hand austrugen. 
Der Trend entwickle sich in Richtung Fundamentalismus. Mit ihrem baldigen Tod werde eine weitere Erinnerung an einen fortschrittlichen Islam dahin gehen. [a.a.O.]
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Die Großmutter von Prinzessin Abida (Sultanjahan Begum) galt als Förderin der Bildungsreformen.
  • Aus dem Taj-Mahal-Palast in Bhopal machte sie die "Sultania Girls School" und finanzierte das "Alighar College", die erste Universität in der islamischen Welt, in der außer Koran und islamischem Recht auch alle gängigen modernen Studienzweige gelehrt wurden.
Quelle

Ihren jüngsten Sohn, Hamidullah, 
(den Vater von Prinzessin Abida, auf dem Foto 1932 in London ganz links) hatte sie zum Studium auf eben diese Universität geschickt.
Hamidullah knüpfte dort auch Kontakte mit den Führern der All-India Muslim League und der Kongresspartei, mit Jawaharal Nehru (erster Ministerpräsident des unabhängigen Indiens), Mahatma Gandhi, Muhammed Ali Jinnah (Gründer des Staates Pakistan) und den anderen "Alighar Boys" von der gegen England gerichteten Unabhängigkeitsbewegung. - Die Kongresspartei ist eine 1885 von Hindus und Muslimen sowie auch einigen Briten im damaligen Britisch-Indien gemeinsam gegründete indische Partei. Ziel der Partei war es, eine stärkere Teilhabe von gebildeten Indern an der politischen Machtausübung in Britisch-Indien zu erreichen.

Prinzessin Alina über ihren Vater Hamidullah:
Er sprach die ganze Zeit davon, dass ich diejenige bin, die Bhopal in Zukunft regieren werde. Und ich erwiderte ihm jedes Mal, dass der Staat nicht fortbestehen wird. (/) Wie kann der Staat weiterbestehen, wenn du sagst: Der Imperialismus ist zu Ende. Wenn du selbst geholfen hast, den Imperialismus zu beenden. Stell dir vor: Du hast die Briten rausgeworfen, weil du für Demokratie bist. OK – stell dir vor, dass sie weg sind. Und jetzt sagst du, dass du dableiben willst? 600 kleine Fürstenstaaten? Auf welcher Grundlage? Halb Indien wird eine Demokratie und die andere Hälfte besteht aus 600 unabhängigen Staaten? Das hatte keine Logik für mich. Ich sage: Das klappt nicht. Der Staat bleibt nicht bestehen. 

Sultania Girls School
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Screenshot Google-Picture-Suche

"Nach der Unabhängikeit Indiens baute Abida sich ein neues Leben als Politikerin in Pakistan auf.
  • Dort wollte sie das vollenden, was ihre Vorfahrinnen, die Begums, und zuletzt auch ihr Vater Hamidullah  in Bhopal vorangetrieben hatten: Die Muslime Indiens in die Moderne führen. Jetzt im Rahmen einer parlamentarischen Demokratie. Nach dem Tod des pakistanischen Staatsgründers, Muhammed Ali Jinnah, engagierte sie sich bis in die 60er Jahre an der Seite von dessen Schwester.

Abida:
Quelle
Ich arbeitete sehr hart für die Wahl Miss Jinnahs, so hart ich konnte.
Die Wahlen (1965) wurden gefälscht. Miss Fatima Jinnah wurde zur Verliererin und der Gegenkandidat Ayub Khan zum Sieger erklärt. Das brach mir das Herz. Schon während des Wahlkampfes bekam ich eine Gelegenheit, die großen politischen Führer des neuen Landes zu beobachten. Sie hatten kein Gewissen. Es waren Lügner.

Ich sah zu viel, ich beobachtete zu viel. Und es grauste mir immer mehr vor der abgrundtiefen Heuchelei, die das ganze Land beherrschte. Die großen Führer – nicht einer von ihnen war aufrichtig, nicht einer von ihnen war seriös. Bei einem Treffen, dem ich beiwohnte, als Präsidentin der Karachi Muslim League, diskutierten Miss Jinnahs eigene Parteifreunde, wie sie sie nach einer gewonnenen Wahl für verrückt oder amtsunfähig erklären lassen würden. [Marc Thörner a.a.O.] 
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"Obendrein hat Iskandar [wissenschaftlicher Mitarbeiter des Stadtmuseums Bhopal] sich ein Ziel gesetzt, das ihn, den Angehörigen einer kleinen Minderheit, noch einsamer macht: Die fortschrittlichen Aspekte des Islam aus ihrer Versenkung zu befreien – ein recht romantisches Unterfangen im Indien von heute, geprägt von Kaschmirkrise, Terrorangst und dem latenten Konflikt mit dem muslimischen Nachbarn Pakistan." 
[Marc Thörner a.a.O.]


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