Freitag, 7. Februar 2014

Was soll die Diskussion über sexuelle Vielfalt im Bildungsplan 2015? Oder: "Es ist was es ist sagt die Liebe" (Erich Fried)

< sonntaz-ESSAY von taz-Chefreporter Peter Unfried, 1./2. Februar 2014

"Pietcong" (Wortspiel aus Pietist und Vietcong) ist eine in den 1970er Jahren entstandene abwertende Bezeichnung für in ihrer Frömmigkeit radikal auftretende Pietisten. Die Bezeichnung ist verbreitet in bestimmten protestantischen Regionen (z.B. im nördlichen Schwaben), jedoch allgemein und nicht auf eine bestimmte Gruppierung beschränkt. "Pietcong" gelten als traditionell-konservativ, obrigkeitshörig, angepasst-spießig, pedantisch-kleinbürgerlich, weltfremd und weltabgewandt und werden in bestimmten Fragen den Aktivisten des christlichen Fundamentalismus zugeordnet. [wikipdia]

Warum marschiert "der Pietcong" auf? 
Er hat Angst vor dem neuen Lehrplan. - Wovor genau?

Der Urheber der bekannten Online-Petition gegen den Bildungsplan 2015, Pietist aus der Prisma-Gemeinschaft e.V., formuliert seine Ängste, (die er mit anderen evangelikalen Christen teilt wie z.B. der evangelischen  Glaubenskongregation  oder der katholischen Piusbruderschaft), so:

"Das bietet dann dieser Community die Möglichkeit, mit Lehrmaterial, mit Vorstellungen, mit auch Aktionsgruppen in Schulen zu kommen, und keiner hat mehr einen Überblick über das, was die eigentlich machen. "
Quelle: SWR Landeschau aktuell bzw. ZDF Heute-Show "Von Phobien und Spielen"



Diese Angst ist unbegründet. -

Enstanden aus der subjektiven Gewissheit/ der festen Überzeugung/ dem persönlichen Glauben/ der Annahme/ dem Dogma/ dem Dafürhalten/ dem Konstrukt/ dem Denkmodell/ der Ansicht/ der Ideologie (oder wie immer man das bezeichnen will), dass es nur Mann und Frau gebe (und nichts dazwischen), dass nur diese beiden sich gegenseitig lieben sollten, dass sie möglichst viele Kinder zeugen sollten und lebenslang zusammen bleiben und dass nur dieses "normal" und "natürlich" sei. -
Eine Angst-Vorstellung wider alle mögliche bessere Einsicht und Realität.
  • Warum ist diese Angst-Vorstellung hilfreich? Eine Stütze im Leben?
Es erspart mir das eigene Nachdenken und gibt mir Sicherheit, wenn ich mich mich auf Worte und scheinbar "ewige Wahrheiten" aus einer Heiligen Schrift stützen kann, z.B. „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie einen Mann und ein Weib." (Gen 1,27). „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan..."  (Gen 1,28).
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Realer als diese diffuse und unbegründete Angst ist die konkrete und begründete Angst, die Furcht, die ein anderer Lehrer äußert:

[...] Als Zugehöriger einer Minderheit, gleich welcher, ist das „Anderssein“ ständiger Begleiter. Wie ich mich mit meinem „Anderssein“ in der Gesellschaft, in der ich lebe, verhalte, hängt davon ab, wie die Mehrheit mit der Minderheit umgeht, welche Gesetze es zum Schutz der Minderheiten gibt oder aber, ob und wie Minderheiten unterdrückt werden.

Für LSBTTIQ-Menschen stellt sich die Frage: „Kann ich mich in meinem Alltag so verhalten, wie dies auch meine heterosexuellen Mitmenschen tun?“ Darf ich überhaupt sagen, dass ich mein Leben mit einer Partnerin oder einem Partner gleichen Geschlechts teile? Darf ich meine Partnerin oder meinen Partner in aller Öffentlichkeit küssen oder Zärtlichkeiten austauchen? Händchen halten? Heiraten? Gemeinsam Kinder groß ziehen? …..

In rund einem Dutzend Länder weltweit, können noch heute homosexuelle Handlungen per Gesetz mit dem Tod bestraft werden. In Nigeria hat die Polizei in den letzten Tagen rund 100 Homosexuelle verhaftet und gefoltert, Menschen gingen im Mob auf andere los, weil sie sie für homosexuell hielten. Der Vorsitzende der nigerianische Bischofskonferenz Ignatius Kaigama hat die Verschärfung des nigerianischen Antihomosexualitätsgesetzes als „Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnet. - 
Ist das normal?
Es macht mir Angst, dass im Jahr 2014 in Russland und Uganda Gesetze erlassen werden, die LSBTTIQ-Menschen ausgrenzen und mit lebenslanger Haft bedrohen.

Es macht mir auch Angst, dass im Jahr 2013 Hundertausende in Frankreich auf die Straße gehen und gegen die Gleichstellung von Lesben und Schwulen demonstrieren. Und es ängstigt mich noch mehr, wenn im Jahr 2014 in Baden-Württemberg und deutschlandweit rund 192.000 Menschen eine Petition unterschreiben, die eindeutig diskriminierend ist und suggeriert, dass LSBTTIQ-Menschen nicht nur eine Minderheit sind, sondern auch minderwertig. - Was haben die Menschen gegen uns, gegen mich? Nehmen wir unseren Mitmenschen etwas weg? Fühlen sich die homophoben Mitmenschen durch uns bedroht? Haben sie Angst vor uns? Wenn ja, vor was? [...]

Hier tut Aufklärung Not!
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Konsequent: Der Landes-Elternbeirat stellt sich hinter den Bildungsplanentwurf

[...]Der Landeselternbeirat begrüßt ausdrücklich, dass das Thema „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ im neuen Bildungsplan vertreten ist. Selbst für Erwachsene führt der Kontakt mit Anderssein, mit dem/der jeweiligen Anderen zu Unsicherheit und daraus resultierend zu emotionalen Reaktionen und bisweilen zu Ablehnung. Das Andere, der/die Andere wird als Herausforderung der eigenen Orientierung verstanden. Noch viel mehr ist das bei Kindern und Jugendlichen der Fall, die in der Pubertät ihre je eigene Identität – auch die sexuelle – erst finden und kräftigen müssen. Es ist wichtig, diese Unsicherheiten ernst zu nehmen.
Dieser Unsicherheit, die aus Unwissen über den/die/das Andere resultiert, kann man durch Information und Aufklärung begegnen.
So kann der schulische Diskurs zu „Sexueller Vielfalt“ auch die eigene Identitätsfindung der Kinder und Jugendlichen unterstützen. Und so ist die Frage der „Sexuellen Vielfalt“ im schulischen Bereich eingebettet in das größere Thema „Anderssein“. Hier muss es unser Ziel und unsere Aufgabe sein, als Schule und als Eltern unsere Kinder zur Toleranz und zum wertschätzenden Umgang miteinander zu erziehen. [...]


Siehe auch:

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