Sonntag, 17. Juli 2016

ADHS, Ritalin, Biologie und Psychologie

Quelle


Ich gestehe:
Ich habe viele Jahre lang "Matrize" mit tz geschrieben. Also: "Matritze". Wie "Matratze".
So kann mann/frau sich manchmal im Leben täuschen. Peinlich! (Oder?)

Ich gestehe außerdem:
Trotz Studium in Pädagogik habe ich fast ebenso viele Jahre gedacht und geglaubt, ADHS könne man "haben". - Also z.B.: "Kevin hat eine Aufmerksamkeit-Defizit-Störung (hyperaktiv)". Das meint: Er hat ein Defizit. Er kann sich nicht konzentrieren. Er kann seine Aufmerksamkeit nicht - also meistens in der Schule - er kann seine Aufmerksamkeit nicht auf den Unterrichts-Stoff und die Lehrkraft richten. Statt dessen zappelt er herum und stört den Unterricht.  Zappelphilipp-Syndom. (Oder Zappel-Philip? Oder Zappel-Phillip?) -

O.k.: Kevin zappelt. Kevin ist hyperaktiv. Kevin hat  ein Defizit. ADHS. Da muss man etwas gegen tun. Aber was?

Der Zappelphilipp.
Zeichnung von Heinrich Hoffmann 1844
"Mittlerweile stellen hyperkinetische Störungen wie ADHS zusammen mit Störungen des Sozialverhaltens die häufigsten psychischen Störungen im Kindesalter dar." [a.a.O.]

"(ADHS) gehört zur Gruppe der Verhaltens- und emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend (nach ICD-10: F90–F98). Sie äußert sich durch Probleme mit Aufmerksamkeit, Selbstregulation und Impulsivität sowie manchmal auch durch ausgeprägte körperliche Unruhe (Hyperaktivität). [wikipedia]

"Methylphenidat (kurz: MPH; Handelsname u. a. Ritalin) ist ein Arzneistoff mit stimulierender Wirkung. Er gehört als chemisches Derivat zu den Phenylethylaminen. Methylphenidat findet bei der medikamentösen Therapie der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Anwendung." [wikipedia
 

  • Ja, Ritalin wirkt oft. ADHS geht dann weg, wenn Kevin es nimmt.
  •  So wie ein Schlafmittel wirkt. Die Schlaflosigkeit geht weg, wenn man es nimmt.

Quelle
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Aber warum zappelt Kevin?
Das Defizit liegt nicht bei ihm, in ihm, in seinen Genen, in einer Infektion.
Nein, mit seinem Zappeln äußert er ein (befürchtetes) Defizit von außerhalb laut- und bewegungsstark:

Ich, Kevin möchte etwas haben, das ich nicht bekommen habe,
das mir aber zusteht. Das mir schon als Baby und Kleinkind zustand. Und deshalb mache ich aktiv auf mich aufmerksam. Ich "störe", ich rufe in den Unterricht, ich laufe herum: "Hallo, hier bin ich!" / "Übersieh mich nicht!" / "Ich habe Angst, ich werde vergessen und übersehen." / "Ich möchte Aufmerksamkleit bekommen." -

Kevin ist wahrscheinlich schon als Baby etwas in Fleisch und Blut über gegangen: Wenn ich von meinen Eltern und Ernährern, von denen buchstäblich mein Leben viele Jahre lang abhing, die Aufmerksamkeit und die Zuwendung bekommen will, die ich als Kind durch meine Existenz verdient habe und zum Überleben brauche, dann muss ich ordentlich strampeln und mich laut bemerkbar machen.
Und wenn ich das nicht tat, dann musste ich zu lange warten und geriet in panische Angst, dass ich verlassen wurde, alleine auf der Welt bin, hilflos bin, sterben muss...

Ich weiß das alles nicht, ich kann das nicht formulieren, ich kann ja noch nicht sprechen.
Und wenn ich Jahre später ein Schüler sein werde, ein Jugendlicher, dann werde ich das immer  noch nicht formulieren können, denn niemand kann sich an das bewusst erinnern, was bis etwa zum 3. Lebensjahr geschehen ist. Aber das Geschehen ist da. Es ist im grünen Holz gewachsen. Wie bei einem Baum, der im Sturm aufwuchs. Er bleibt schief, auch wenn kein Sturm mehr weht und wenn der Baum schon groß ist.
 Diese Angst aus der Kindheit steckt tief in Kevin drin, in den Teilen seines Gehirns, in denen Emotionen und überlebenwichtige Funktionen gespeichert sind. - Und sie werden sein Leben lang wirksam sein. Das psychische Geschehen hat biologische Spuren hinterlassen.

Aus Psychologie wurde Biologie, und aus Biologie wird wieder Psychologie.

Der Unterschied zur Pflanze:
Kevin kann denken, wenn er "groß" geworden ist. Er kann sich erklären lassen, warum etwas schief läuft. warum er "schief" steht, obwohl kein Sturm mehr weht. Warum er im Unterricht zappelt und nach Aufmerksamkeit schreit, obwohl die LehrerInnen ihn auch ohne Zappeln wahrnehmen würden - das kann er dann verstehen und begreifen, "lernen". Wenn es ihm jemand erklärt. Vielleicht kann ihm Ritalin dabei eine Zeit lang helfen, zur Ruhe zu kommen, das Geschehen zu verstehen und - vielleicht mit Unterstützung von außen - Gegenstrategien zu entwickeln, "Prothesen" zu finden, ohne dieses in der Kindheit "erlernte" und damals sinnvolle und überlebenswichtige Verhalten zu leben.

Haben auch Erwachsene ADHS?
Ja. Die Geschichte ist die gleiche.

Siehe auch:
und



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