Samstag, 7. Januar 2012

Aufstieg durch Bildung? Der Kampf um die Bildungsabschlüsse

Wenn ich in der Gesellschaft "etwas werden will" oder möchte, dass aus meinem Sohn oder meiner Tochter "etwas wird", dann muss ich für mich oder meine Kinder


  • danach streben, einen hohen Grad der Qualifizierung zu erreichen, einen hohen Schulabschluss, ein Studium...

  • Das reicht aber nicht aus: Es muss zudem genügend angemessen bezahlte Arbeitsplätze geben, die eine hohe Qualifikation verlangen und außerdem zu wenige BewerberInnen, die diese Voraussetzungen erfüllen. Denn sonst nützt mir meine hohe Qualifizierung eventuell gar nichts, und ich stehe im schlimmsten Fall ohne Arbeit und Geld auf der Straße, weil es zu viele qualifizierte Mit-KonkurrentInnen um die zu wenigen gut bezahlten qualifizieren Arbeitsplätze gab. -

    Wenn hochqualifizierte junge Menschen so gut wie keine Chance auf eine angemessene Arbeit und ein entsprechendes Einkommen haben, dann können sie - wie derzeit in der arabischen Welt, in Spanien, in den USA, in Griechenland und anderswo zu beobachten - zu einer kritischen Masse der Unzufriedenen werden, die gesellschaftliche Veränderungen und Umstürze herbeiführt - oder zumindest verlangt. 
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Der deutsche Pädagoge Professor Helmut Heid (*1934) schreibt deshalb sinngemäß:

Das Versprechen "Aufstieg durchBildungbleibt für die große Mehrzahl ihrer Adressaten eine leere, uneinlösbare, unkalkulierbare Versprechung.  "Für Einzelne ist der postulierte Aufstieg möglich. Für wen die Aufstiegsaussicht aber auch realistisch ist, das hängt nur zum Teil vom einzelnen ab." - Zum anderen Teil hängt der Aufstieg nämlich von entsprechenden,
  • nicht durch Bildung und auch nicht durch die Bildungspolitik
beeinflussbaren objektiven Aufstiegsgelegenheiten ab, die durch die jeweilige wirtschaftliche Lage und Arbeitsmarktkonstellation bestimmt werden. 
Bildung ist zwar eine notwendige, aber keineswegs auch schon eine hinreichende Bedingung der realen Möglichkeit, aufzusteigen. - Trotzdem, so sagt er, müssen die Menschen (Heid spricht von "Beherrschten") an ihrer höchst möglichen Bildung interessiert sein - ganz ohne Frage und zu jeder Zeit!
 
Dank elterlicher Unterstützung und bildungsnaher Erziehung geht die Rechnung in den meisten Fällen auf.Bekanntlich beginnt der Kampf um Bildungsabschlüsse bereits in der Grundschule mit erschreckenden Konsequenzen für Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit:
Die Kinder der Oberschicht und oberen Mittelschicht bekommen die Gymnasialeignung weit leichter zugesprochen als Kinder aus der Unterschicht - und zwar von den Eltern wie von den Lehrkräfte: Letztere müssen eine deutlich höhere Punktzahl im Bereich Lesekompetenz aufweisen, um nach der Grundschulzeit auf das Gymnasium wechseln zu können. Während Kinder an- und ungelernter Arbeiter hierfür Höchstleistungen erbringen müssen, erwarten Eltern der Oberschicht im Durchschnitt von ihrem Nachwuchs lediglich ein mittleres Kompetenzniveau, um am Gymnasium angemeldet zu werden.
 

Das hoch kompetente Kind der türkischen Putzfrau, vorausgesetzt der Schritt zum Gymnasium wird überhaupt gewagt, ist hingegen oft vom Scheitern bedroht - sei es wegen fehlender Unterstützung oder wegen des fehlenden "gymnasialen Habitus", der sich in Kleidung, Beruf und Auto der Eltern, Wohngegend und -situation manifestiert. Was der deutsche Soziologe Professor Michael Hartmann (*1952) in Bezug auf den ›richtigen‹ Habitus für den Aufstieg in Elitepositionen vor allem in der Wirtschaft feststellt, trifft in abgeschwächter Form auch auf den gymnasialen Habitus zu.

"Es spricht viel für die These, dass die herrschenden und ökonomisch einflussreichen Kräfte immer nur so viel sozialen Aufstieg zulassen, wie sie für das eigene Wohlergehen für notwendig erachten.  
Dass sie dabei kurzsichtig und kurzfristig denken und ganz und gar nicht demokratisch, macht der seit Jahren geführte Kampf gegen längeres gemeinsames Lernen und für den Erhalt des gymnasialen Milieus deutlich."


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Die Konkurrenz um die Arbeitsplätze und die Konkurrenz um die Bildungsabschlüsse ist zunehmend globalisiert und gilt auch im "Sozialismus chinesischer Prägung": Manch ein Mittelschichtler in Peking, sagt Françoise Hauser in ihrem Buch "Alles Mythos",  wird theoretisch die Gleichberechtigung aller Bewohner Chinas vertreten. Freilich nur so lange, wie die Bauernkinder seinem Sohn oder seiner Tochter nicht den heiß begehrten Studienplatz an einer Hauptstadt-Universität streitig machen... 


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Fortsetzung: Der Kampf läuft subtil...

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