Dienstag, 10. Januar 2012

Muss man über Schul-Strukturen reden?


"... um die Kinder aus nichtbürgerlichen Schichten aus ihren Gymnasien fernzuhalten, ..."

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 Manche möchten nicht über Schul-Strukturen reden,
  • z.B. Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister in seiner letzten Neujahrs-Ansprache
"Mir geht es darum, dass wir die Qualität der Bildung in den Mittelpunkt unserer Bemühungen stellen - und dass wir nicht zu viel über Schulstrukturen reden."
  • Oder Thomas Strobl, Landesvorsitzender der CDU in Baden-Württemberg:
Es gebe „keinen Grund für unsinnige Strukturexperimente“, sagte Generalsekretär Thomas Strobl dem Tagesspiegel: „Dagegen werden wir uns wehren.“ Für die Südwest-CDU habe die Hauptschule „einen eigenen pädagogischen Wert“. Man müsse gemeinsam über Lerninhalte, „aber nicht über Schulstrukturen“ reden.
Andere wollen sehr wohl über Schul-Strukturen reden,
  • z.B. die LehrerInnen-Verbände:
    Deutliche Worte kommen von der Bildungsgewerkschaft GEW:
    "Der Deutsche Philologenverband gründete im Frühjahr 2009 sogar ein „Aktionsbündnis gegliedertes Schulwesen“, um die Kinder aus nicht-bürgerlichen Schichten aus ihren Gymnasien fernzuhalten und das Fortkommen der eigenen Klientel-Kinder durch Konkurrenz nicht zu gefährden. So lobt man die Institution Hauptschule, die sich um die „Schmuddelkinder“ kümmern darf, überschwänglich, damit die Absicht nicht so offenkundig wird.


    Wer, wie Frau Dr. Arnold, im Landtag sagt: „Unser ausgezeichnetes vielgliedriges Bildungs- und Schulsystem trägt in entscheidendem Maße dazu bei, dass junge Leute ein erfolgreiches und glückliches Leben führen können“ (Landtagsdebatte am 17.6.09), der hat kein Interesse daran, das Schulsystem zu ändern oder sich für Modellschulen und die fairen Chancen aller Schüler/innen um Teilhabe an der Gesellschaft einzusetzen.
    "
    (Frau Dr. Birgit Arnold war zu der Zeit stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Landtag von Baden Württemberg. 2011 wurde sie nicht wiedergewählt.) - Inzwischen haben alle Bundesländer damit begonnen, ihre Schulstruktur zu verändern.

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Wieder Andere versuchen zu erklären, warum selbst  KultusministerInnen nicht über Schulstrukturen reden wollen:

" Der – wie es oft verschämt heißt – »statistisch besonders enge Zusammenhang von sozialer Herkunft und Kompetenz-Erwerb in Deutschland« hat nämlich eine wichtige Ursache in der Schulstruktur. ... Dazu gibt es ebenso eindrucksvolle wie beschämende Studien des „Pisa-Papstes“ Jürgen Baumert, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Dennoch erklärten die Kultusminister nach dem schrecklichen Pisa-Erwachen im Jahr 2001 die Schulstruktur zum Tabu."
Der ganze Text des Bildungsjournalisten Christian Füller in: "der freitag"
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 Soll man nun oder soll man nicht?

Man lässt es dann lieber bleiben, wenn man sich nicht zuvor darüber unterhalten hat, was das Ziel der Schul-Bildung sein soll. Wenn ich nicht weiß, wohin ich will und wohin der Andere will, dann werden beide DiskutantInnen bis ans Ende ihrer Tage über den richtigen Weg streiten. Die erste Frage muss deshalb lauten: "Wo willst du eigentlich hin?"


  • Willst du eine Elite hervorbringen - und der Rest ist dir gleichgültig, weil es für ihn sowieso keinen Arbeitsplatz geben wird?
  • Willst du, dass Jedermann im Lande eine möglichst qualifizierte Schulausbildung bekommt, die aus seiner Person herausholt, was in ihr steckt (und was sie selber herausholen möchte)?
  • Möchtest du gleichwertige Bildungsabschlüsse haben (welchen Wert soll z.B. ein Gesellenbrief im Verhältnis zum Abitur haben?) oder ist eine akademische Bildung für dich stets mehr Wert als eine "meisterliche" Bildung in einem Handwerk?
  • Ist für dich Bildung in erster Linie ein Menschenrecht oder in erster Linie ein Kostenfaktor?
Erst wenn wir uns über unser Ziel einig sind - und das sind zum Teil ethische Fragen und keine technokratisch zu lösende - dann können wir über Strukturen reden und (empirisch) untersuchen, ob und welche Strukturen für welches Ziel offensichtlich hilfreicher zu sein scheinen.

Vielleicht stellt sich schon im Vorfeld heraus, dass wir ganz unterschiedliche Ziele haben und wir deshalb auch ganz unterschiedliche Schulen brauchen oder wollen. - Nicht unterschiedliche Schulen für geborene Hilfsarbeiter und geborene Akademiker, sondern unterschiedliche Angebote für verschiedene Bedürfnisse, die sich meistens erst im Laufe der Schulzeit oder danach herauskristallisieren - und die uns alle gleich viel Wert sind. 


Das hört sich ein bisschen nach Angebot und Nachfrage an. Kann es auch. Vorausgesetzt man überlässt die Schul-Politik nicht der wild gewordenen "freien" Marktwirtschaft, sondern lebt in einem Staat und einer Gesellschaft, die sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind und diese auch wahrnehmen.


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