Freitag, 16. März 2012

Der individualisierte Nürnberger Trichter. - Teil II: Steven King, das Schönste am Lehrerberuf und die wichtigste Kompetenz

Es gibt Stunden und Tage in der Schule, da ist der rein individualisierte Unterricht fehl am Platze. Und zwar deshalb, weil sowohl den SchülerInnen als auch den LehrerInnen etwas entgeht. Das beschreibt Steven King in seinem Roman "Der Anschlag" (Heyne 2012):
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So kam es, 
dass ich im Schuljahr 1959/60 schließlich wieder ein bis zwei Tage in der Woche unterrichtete. Es war schön, wie­der in der Schule zu sein. Auch meine Schüler - die Jungen mit oben flachem Bürstenhaarschnitt, die Mädchen mit Pferdeschwanz und in wadenlangem Tellerrock - machten mir Spaß, obwohl mir peinlich bewusst war, dass alle Gesichter, die ich in verschiedenen Klassenzimmern sah, recht durchschnittlich waren. Diese Tage als »Springer« brachten mir eine neuerliche Selbsterkenntnis: 

Zwar gefiel mir das Schreiben, und ich hatte entdeckt, dass ich gut darin war, aber meine wahre Liebe war das Unterrichten. Es füllte mich auf eine Weise aus, die ich nicht erklären konnte. Oder er­klären wollte. Erklärungen waren oft billige Poesie.  

Mein bester Tag als Aushilfslehrer 
kam in der West Sarasota High, nachdem ich für eine Klasse, die ich in Amerikanischer Literatur unterrichtete, die Handlung von Der Fänger im Roggen zusammengefasst hatte (ein Buch, das natürlich nicht in der Schulbücherei stehen durfte und konfisziert worden wäre, wenn ein Schüler es in diese heiligen Hallen mitgebracht hätte). Im Anschluss hatte ich sie aufgefordert, über Holden Caulfields Haupt­klage zu diskutieren: dass die Schule, die Erwachsenen und das amerikanische Leben insgesamt verlogen seien. Die Kids kamen erst nur langsam in Schwung, aber als die Glocke schrillte, rede­ten alle durcheinander, und ein halbes Dutzend Schüler riskierte es, zu spät in den nächsten Unterricht zu kommen, nur um ab­schließend äußern zu können, was sie an der Gesellschaft, die sie um sich herum sahen, und dem Leben, das ihre Eltern für sie geplant hatten, als falsch empfanden. Ihre Augen glänzten, ihre Gesichter waren vor Aufregung gerötet. Zweifellos würde es in den hiesigen Buchhandlungen einen Ansturm auf ein bestimmtes dunkelrotes Taschenbuch geben. Als Letzter ging ein muskulö­ser junge, der einen Footballpullover trug. Er erinnerte mich an Moose Mason aus den Archie-Comics.

»Ich wollte, Sie wärn für immer hier, Mr. Amberson«, sagte er in seinem weichen Südstaatendialekt. »Sie find ich nämlich am allertollsten.«

Er fand mich nicht nur toll; er fand mich am allertollsten. Nichts war damit vergleichbar, ein solches Kompliment von einem Siebzehnjährigen zu hören, der aussah, als wäre er zum ersten Mal in seiner Schullaufbahn ganz und gar wach.

Im selben Monat  

noch rief mich der Direktor in sein Büro, bot mir zu ein paar Freundlichkeiten eine Coca- Cola an und fragte …. 


Fortsetzung im Buch auf Seite 363...
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  • Die wichtigste Kompetenz, die wir im Leben brauchen, ist die Beziehungsfähigkeit.
    Sie ist das Moment, auf dem Lernen aufbaut.
  • "Was das schönste am Lehrerberuf war?
    Den Augenblick zu erleben, in dem ein Junge oder Mädchen sein Talent entdeckte.

    Damit war nichts auf Erden zu vergleichen."
(Steven King in seinem neuen Roman "Der Anschlag", S. 407).

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Buchhinweis: Miller, Reinhold
Beziehungsdidaktik
Beltz 2011, 184 Seiten



Link zum 1. Teil des Posts: Der individualisierte Nürnberger Trichter. -  Teil I: Lernstraßen 
Und zum 3. Teil: Jeder hat sein Lernpaket zu tragen

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