Sonntag, 8. September 2013

Vom Fachkräfte-Mangel, Akademisierungs-Wahn, Demografie und Mao Zedong

Studieren zu viele?


Nun, in Deutschland vergleichsweise nicht. 

Denn Deutschland hat mit einer Abiturienten-Quote von 55% eines Jahrgangs (incl. Fach-Abitur) die zweit-niedrigste Abi-Quote aller 34 OECD- Mitglieds-Staaten. Und nur 43% dieser AbiturientInnen nehmen dann ein Studium an der Uni oder Fachhochschule auf.
Die OECD würde deshalb sagen:
In Deutschland studieren zu wenige, denn angestrebt werden von ihr 70% Studien-Berechtigte eines Jahrgangs, so wie das in Spanien, Italien, Japan, Finnland, Südkorea schon der Fall ist. Akademisierungs-Wahn?

Aber auch in Deutschland geht der Trend zur höheren Bildung (siehe unten die Entwicklung der letzten 10 Jahre). Allen Eltern ist wohl gemeinsam, dass der Schulabschluss ihrer Kinder gleich oder höher sein soll als ihr eigener. Das ist auch der Fall. Schauen wir uns diese Statistik an:

Screenshot. Diese Statistik täuscht,
weil in Deutschland die Ausbildung im Schnitt 1-2 Jahre länger dauert
als in anderen Ländern. Deshalb eine 2. Statistik der 35-44-Jährigen.
Diese Statistik zeigt, dass in Deutschland 20% der 25-34-Jährigen einen höheren (grün) Bildungsabschluss haben als ihre Eltern, 22% einen niedrigeren (rot).
Damit wäre Deutschland von den 6 abgebildeten Ländern dass einzige Land, in dem mehr Menschen dieser Alters-Gruppe abgestiegen als aufgestiegen sind, was den Bildungs-Abschluss betrifft. - Aber das täuscht, denn die Ausbildung dauert in Deutschland länger als in anderen Ländern.

Schaut man sich die Zahlen für die 35-44 Jährigen in Deutschland an, dann sieht man, dass auch in Deutschland mehr Menschen einen höheren Bildungs-Abschluss haben als ihre Eltern (als einen niedrigeren haben).
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Warum studieren?
Es gibt diejenigen, die nach dem Abitur auf die Uni gehen, "weil es für mich ein Traum war, auf die Uni zu kommen und keinerlei Verpflichtungen mehr zu haben" - so  ein Ex-Student über sich selber auf Facebook. Sein Traum zerschlug sich, denn mit dieser Einstellung habe das Studium ihn geschafft und nicht er das Studium, wie er schreibt. - Nach 4 verschwendeten Jahren hat er das Studium abgebrochen und eine Ausbildung begonnen: "Jetzt bin ich sehr glücklich in meiner Ausbildung." -

Dann gibt es die, die aus dem guten Grund studieren, dass es zumindest in Deutschland (noch?) so ist, dass man mit einem höheren Bildungs-Abschluss die Chance auf einen besseren Berufseinstieg hat, mehr Berufe zur Auswahl und die Aussicht auf eine bessere Bezahlung. Das ist ein guter und vernünftiger Grund (der allerdings in Italien, Spanien und Griechenland schon nicht mehr passt).

"Fakt ist", so Andreas Schleicher, (Bildungsforscher und internationaler Koordinator der PISA-Studien der OECD), "dass ein Hochschulsbasolvent in Deutschland im Arbeitsleben durchschnittlic 74% mehr verdient als jemand mit Sekundar-Abschluss und Lehre".
Anekdote am Rande: 1974 hatte ihm ein Grundschullehrer unter ein Zeugnis geschrieben: "Ungeeignet für das Gymnasium".

Übrigens: Kopf-Arbeiter verdienen auch bei Nicht-Akademikern das Meiste

Warum nicht studieren?
Der Philosophie-Professor Julian Nida-Rümelin spricht vom Akademisierungs-Wahn, weil sich Deutschland einen massiven Einbruch im Bereich der Ausbildungs-Berufe nicht leisten könne. "Mit 30% eines Jahrgangs wäre der Weg in die Deindustrialisierung Deutschlands nach britischem Muster voregezeichnet. Eine Kopie des US-Bildungssystems würde Deutschland nicht guttun."

Der Handwerker-Verband hat Nachwuchssorgen. Nicht nur gibt es weniger Schulabgänger, auch sind Handwerksberufe out, sie haben ein schlechtes Image, sie bekommen zu wenig Anerkennung, zu wenig soziale und finanzielle Anerkennung. 

Auch Österreichs Minister für Wissenschaft und Forschung Töchterle spricht vom Akademisierungswahn, dem man nicht verfallen dürfe. Die Universität solle "ein Ort der Forschung und Lehre sein", das gehe "nur mit einer begrenzten Zahl dafür geeigneter. Nicht alle Absolventen taugen für die besonders kognitiv ausgerichteteten Universitätsstudien". 

Ein Vertreter der Industrie- und Handelkammer: "Die Hörsäle an den Uni sind überfüllt, den Betrieben fehlen Auszubildende. Inzwischen gibt es mit rund 500.000 Menschen fast so viele Erstsemester wie Ausbildungsanfänger. Nicht jeder ist mit einem Studium auf der Erfolgs-Spur. Rund 25% der Studienanfänger brechen ab. Der Trend zur Akademisierung muss um jeden Preis gestoppt werden."-
Aber wie soll der Trend gestoppt werden? Ende 1968 rief Mao Zedong die intellektuelle Jugend dazu auf, „in die weite Welt hinauszugehen“.  

Zehn Millionen Mittelschüler wurden auf das Land geschickt, um "von den Bauern zu lernen". Sie verließen nun die Städte, in denen sie als Rote Garden Geschichte gemacht hatten....
Vielleicht eine gute Idee für Deutschland? ;-)



Man könne das u.a. dadurch ändern, so der Soziologe Prof. Hurrelmann, dass man manche  Ausbildungsberufe akdemisiere. In 24 von 27 EU-Ländern benötigt man z.B. für den Pflegeberuf das Abitur. Am Diakonie-Krankenhaus in Bad Kreuznach z.B. kann man im Dualen Ausbildungsgang ein Pflegestudium an der Fachhochschule machen und den Bachelor für Gesundheit und Pflege erwerben. In Griechenland haben auch ErzieherInnen einen Master (was ihnen aberdort materiell nichts nützt, weil es keine Arbeitsplätze gibt).


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Fachkräfte-Mangel und Demografie

  • Der deutschen Wirtschaft fehlen jedes Jahr bis zu 30.000 Ingenieure.
  • Der Mangel an Fachkräften durchdringt viele Bereiche der deutschen Wirtschaft. Es fehlen nicht nur Ingenieure, sondern auch Lehrlinge, Gesellen und Meister. 2012 waren noch 30.000 Lehrstellen unbesetzt, dem standen 11.000 BewerberInnen gegenüber. Im Osten Deutschlands findet jeder 2. Betrieb keine Auszubildende, Ursache ist (zu welchem Anteil?) der Rückgang der Zahl der SchulabgängerInnen. Die Demografie spricht FÜR die Jugendlichen: Sie finden viel leichter einen Arbeitsplatz als früher. Doch es gibt auch Jugendliche, die eigentlich niemand haben will wegen "mangelnder Ausbildungs-Reife". - Die Betriebe müssen ihre Ansprüche herabschrauben, um die guten BerwerberInnen werben - oder Hoch-Qualifizierte aus dem Ausland importieren.
Im gesamten Bundesgebiet veränderte sich die Zahl der SchulabgängerInnen zwischen 2000 und 2010 (abgerundet) wie folgt:

Ohne Schulabschluss:          Von 87.000 auf 66.000 gesunken
Mit HS-Abschluss:              Von 229.000 auf 193.00 gesunken
Mit RS-Abschluss:              Von 369.000 auf 334.000 gesunken
Mit Fachhochschul-Reife:   Von 8.900 auf 11.500 gestiegen!
Mit Hochschulreife:             Von 225.000 auf 243.000 gestiegen!
Summe:                                Von 919.000 auf 848.000 gesunken

  • Die Gesamtzahl der Schulabgänger stieg zwischen 2000 und 2007 jährlich um 1 - 3% an, 
  • von 2008 - 2012 sank sie jährlich um 2 bis knapp 8% pro Jahr, 
  • 2013 sank sie wegen des Abi-Doppeljahrganges nur um 2,9%, 
  • der Rückgang wird sich im Bereich von 8% pro Jahr  fortsetzen.

Deutschland nimmt mit seiner Quote der Schulabgänger mit Abitur oder Fachabitur (55%) den vorletzten Platz in der OECD ein.
Der Trend zum höheren Bildungsabschluss setzt sich jedoch fort. Der mittlere Bildungsweg, Realschul-Abschluss, dient in Deutschland als zweitbeste Lösung.Der akademische Abschluss gilt nach wie vor als beste Absicherung gegen Arbeitslosigkeit.
In vielen Ländern Europas ist auch der Hochschulabschluss keine Garantie mehr für einen Arbeits-Platz.-  In Deutschland, Österreich und der Schweiz sieht das (noch?) anders aus.
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Warum ist in Deutschland die Jugendarbeitslosigkeit geringer? - 
  • Durch den demografischen Wandel (s.o.).
  • Das Duale Ausbildungs-System gilt als ein wichtiger Grund für die niedrige Jugendarbeitslosigkeit. In Deutschland (Österreich und der Schweiz) bekommen viele Jugendliche eine qualifizierte Berufs-Ausbildung im "Dualen System", d.h. sie machen eine "Lehre" im Betrieb und in den Berufsschulen - das gibt es in anderen Ländern Europas, Asiens und in den USA nicht. Dort heißt es "Learning on the job" oder nur in der Schule,
  • Etwa 400.000 Jugendliche pro Jahrgang werden in berufsvorbereitenden Maßnahmen "geparkt", die zum Teil hässliche Namen haben, wie BVJ, zum Teil schöne ;-) wie "Job-Starter-Connect", "Job 4000" oder "Fit for Job".  (Diese Kurse vermitteln jedoch leider oft nicht das, was die Betriebe suchen. - 1,5 Millionen TeilnehmerInnen kamen ohne Erfolg, d.h. weiterhin ohne Arbeitsplatz,  aus diesen Maßnahmen heraus.)
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