Donnerstag, 10. Oktober 2013

Wenn Lehrbeauftragte Unfug über "Lernateliers" verbreiten. Auf einem "Symposion".


Neulich fand in einer traditionsreichen deutschen Universätssstadt ein »Symposion “Neue Lernkultur auf dem Prüfstand”« statt. Veranstalter waren fünf Gymnasien der Stadt, darunter das humanistische:

Der altgriechische Ausdruck Symposion (gr.: συμπόσιον sympósĭonum) steht sinngemäß für „gemeinsames, geselliges Trinken“. Aus der Bedeutung für gesellige Treffen hat sich später der Begriff Symposium für wissenschaftliche Konferenzen entwickelt. [Quelle für Text und Bild: wikipedia]

Nun, in der Pause wurde tatsächlich gemeinsam gesellig getrunken, wie es sich für ein griechisches Symposion gehört; aber in der Hauptsache sollte es wohl ein wissenschaftliches Symposium sein.
War es dann auch. -  Teilweise zumindest.

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Der letzte der drei (männlichen) Referenten - Lehrbeauftragter an einem Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung - referierte über "LernbegleiterInnen" und "Lern-Ateliers".


Genauer gesagt: Er erzählte, was er so darüber gehört und gelesen hatte und wie er sich das Treiben in einem Lern-Atelier so vorstellte; also so ähnlich wie auf einem "Symposion" ;-). -
Gesehen und erlebt hatte er ein Lern-Atelier offensichtlich und offenhörbar noch nicht. (Er hätte allerdings die Möglichkeit gehabt, zuvor z.B. in der gleichen Stadt eins zu besuchen.)

Hänsel und Gretel werden von ihren
LehrerInnen aus dem Klassen-
Zimmer entlassen und stromern
allein gelassen im Walde umher. 
Er stellte es sich ungefähr so vor, dass die Kinder von der LehrerIn, die ja jetzt LernbegleiteIn heißt, ins Lernatelier geschickt werden und dort allein gelassen herumstromern: "Im Lernatelier stromern die Schüler herum."
Und jeder Pädagoge und jede Pädagogin wisse ja, dass besonders die schwachen SchülerInnen sich schwer tun, mit dem eigenständigen Lernen ohne Hilfe. [Was nicht falsch ist.]  - So dass in solch einem Lern-Atelier, wenn überhaupt, nur die sowieso schon guten SchülerInnen vielleicht etwas arbeiten und lernen würden. ...


Unterwegs kommen sie an einem
Lern-Knusper-Atelier vorbei, an dem sie etwas
knuspern und so in die Hände der
bösen Hexe fallen. -
Doch es gibt ein Happy End,
bei dem die böse Hexe verbrannt wird.
Oder so.
Kurzum: Diejenigen, die angeblich mit ihrer Neuen Lerkultur alles besser machen und gerade den schwachen Kindern helfen wollen ["kein Kind zurücklassen"], die schaden gerade diesen Kindern besonders, weil man sie alleine im Lernatelier umherstromern lässt. - So ungefähr war sein Gedankengang. Auf dem Symposion.

Die Wirklichkeit in einem gut geführten Lern-Atelier wird durch diese Darstellung auf den Kopf gestellt.

Ganz kurz gesagt, sieht es in der Praxis oft so aus:
Man mag es nun bedauern oder sich freuen, doch die SchülerInnen verbringen i.d.R. nur 2 Stunden (in einem Hauptfach) pro Tag in diesen Lern-Ateliers. Man mag auch diesen aus der Schweiz importierten newspeak beklagen, denn man könnte das Lernatelier auch Still-Arbeits-Raum nennen oder Raum für individuelles Arbeiten, weil in diesem Raum - wie in einer Bibliothek - nicht mit Anderen geredet werden darf. Dafür gibt es in dem Raum eine Aufsicht, die die stille Arbeit einfordert.  Wenn ein Schüler Hilfe benötigt, kann er ein Zeichen geben, und man wird sich um ihn kümmern. Im Flüsterton. Wie in einem Lesesaal.

Bevor die SchülerInnen also 1x am Tag in die 2-stündige Stillarbeit im "Lern-Atelier" gehen, hatten sie schon - im Klassenverband - eine kurze ziemlich frontale Einführung in die Thematik. Man könnte das Frontal-Unterricht nennen, nennt es aber - neudeutsch - auch oft "Input". Weil der kurz ist.

SchülerInnen,  (beim Herumstromern beobachtet)
Nach diesem Input gehen dann nicht alle Kinder der Klassse, [die neudeutsch/schweizerisch nun oft "Lerngruppe" genannt wird statt "Klasse"], in das Lern-Atelier,
sondern nur die, die leise und individuell arbeiten können und möchten und sich in den Tagen oder Wochen zuvor das Recht dazu erarbeitet haben. Als Nachweis dafür bekommen sie von der LehrerIn einen Sticker, oft "Könner-Button" genannt, mit dem sie sich gegenüber anderen LehrerInnen als befugte BesucherInnen des Lern-Ateliers ausweisen können. Der Button kann auch wieder entzogen werden.

Andere SchülerInnen der Klasse gehen während dieser 2 Stunden vielleicht nicht ins Lernatelier, sondern arbeiten auf dem Flur vor dem Klassenzimmer der Klasse in Partner-Arbeit (dort darf man dann miteinander reden), wieder andere gehen in den Computer-Raum oder in die Schul-Bücherei.

Wer keinen Könner-Button hat, bleibt mit der LehrerIn im Klassenzimmer, die sich nun mit dieser mehr oder weniger kleinen Gruppe intensiv beschäftigen kann: Frontal, fragend-entwickelnd oder ...

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  • Fazit 1: Dieses sog. Lern-Atelier kann in jeder Schulart eine Möglichkeit sein, heterogene Lerngruppen auf eine sehr einfache und geschickte Art zu differenzieren und die schwächeren SchülerInnen in diesen 2 Stunden pro Tag intensiv zu betreuen. 
  • Fazit 2: Wer Referent auf einem Symposium ist, sollte kundig sein in dem, worüber er redet.

Siehe auch:

1 Kommentar:

  1. Hallo, ich finde Ihren Blog sehr interessant. In vielen Punkten stimme ich Ihren Einschätzungen zu. Dieser letzte Beitrag erscheint mir gut differenziert.
    Ich bin gewesener Lehrer einer bekannten Gesamtschule in Hessen, die auch in Ihren Beiträgen auftaucht. Noch immer aktiv durch Vorträge und Workshops mit der Absicht, Schulen und Lehrer in ihrer Praxis zu ermutigen. Vielleicht gucken Sie mal auf den blog http://encourage-schools.blogspot.de/ oder auf http://encourage-schools.net/. Ich werde dort auch auf Ihren blog verweisen. Mit freundlichen Grüßen.

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