Sonntag, 4. Dezember 2011

10 Jahre PISA. Oder: Vom Sputnik-Schock zum PISA-Schock.

A mark, a yen, a buck or a pound
...a buck or a pound
...a buck or a pound.
Is all that makes the world go around
...


singt Liza Minneli im Musical Cabaret (das in der Film-Version acht Oscars gewonnen hatte).

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10 Jahre PISA-Schock

Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit) stellte am 4.12.2001 in Berlin die Ergebnisse ihres ersten internationalen Vergleichs von Schülerleistungen (PISA-1) vor. Die PISA-Tests hatten und haben zum Ziel, alltags- und berufsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten 15-jähriger SchülerInnen zu messen und international zu vergleichen.

In PISA-1 sah das Land der Dichter und Denker ziemlich alt aus: 

Im Lesen nur Durchschnitt, im Mittel der anderen Tests (Mathematik, Naturwissenschaften...) sogar unterdurchschnittlich. Und: In keinem anderen OECD-Land war der Schulerfolg so stark von der sozialen Herkunft abhängig. –

Nach PISA-1 kam in Deutschland die Bildungsreform in die Gänge: Mehr Kitas, mehr Ganztagsschulen, mehr Gemeinschaftsschulen, bundesweite Vergleichsarbeiten, G8 ...

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Exkurs: Der Sputnik-Schock


Sputnik-Schock nannte man die politisch-gesellschaftliche Reaktion in den USA und Westeuropa auf den Start des ersten künstlichen Erdsatelliten "Sputnik-1" im Oktober 1957 durch die damalige Sowjetunion. 

Der PISA-Schock betraf Deutschland, der Sputnik-Schock den ganzen Westen. "Die Russen, die hinterwäldlerischen Steinzeitkommunisten" (Michael Rux) waren dazu im Stande den ersten Satelliten der Geschichte ins Weltall zu schießen. - Unvorstellbar!
 
In der Folge bemühte sich auch Deutschland, Bildungs-Reserven in der Bevölkerung auszuschöpfen, um den augenscheinlichen Technologie-Vorsprung des "Ostblock" gegenüber „dem Westen“ aufzuholen: Zwergschulen wurden geschlossen, Englisch-Unterricht an Hauptschulen eingeführt und das 9. Schuljahr (bis dahin ging die Hauptschule nur bis Klasse 8), die realschulen ausgebaut. Letztlich war die Gründung zahlreicher Integrierter Gesamtschulen in den 60er/70er Jahren in Deutschland (auch) eine Folge dieses Technologie-Schocks.
"Schick dein Kind länger auf bessere Schulen!" 
lautete die neue Parole.


Der deutsche Philosopg Georg Picht  rief 1964 die Bildungskatastrophe aus: "Die deutsche Bildungskatastrophe. Analyse und Dokumentation, Freiburg i. Br. 1964". In der ersten Hälfte der 1970er Jahre verdoppelten sich dann die Bildungsausgaben, Arbeiterkinder machten vermehrt das Abitur, neue Hochschulen wurden gegründet, ein Akademikerschub begann.
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Man kann sagen:

Die Anstöße für die Bildungsreform in Deutschland in der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts und zu Beginn dieses Jahrhunderts, kamen nicht aus der Pädagogik. Zwar waren ausreichend pädagogische Erkenntnisse vorhanden - sie wurden aber aus finanziellen und ideologischen Gründen nicht wahrgenommen, zum Beispiel: 


  • Gemeinsames Lernen tut Allen gut,
  • eine Vorhersage der Schullaufbahn nach dem 4. Schuljahr ist nicht möglich,
  • bei kompetentem Umgang mit Heterogenität profitieren sowohl schwache als auch starke SchülerInnen,
  • eine Abstufung in eine niedrigere Schulart hilft dem Schüler nicht unbedingt weiter und:
  • Die "Reparaturarbeiten" für die Folgen des derzeitigen deutschen Bildungs-Systems belaufen sich auf 3,5 Mrd. EURO pro Jahr: Für Wiederholer, für Abbrecher, für Abgänge aus den Schulen ohne ausreichende Qualifikation...
...

Es bedurfte erst diverser Schocks, um die Bildungsreformen in Gang zu bringen. Derzeit gibt es weitere nicht-pädagogische (demografische, ökonomische) Gründe, die den pädagogischen Reformen auf die Sprünge helfen mussten: Als Folge des Rückgangs der Geburtenzahlen und infolge der Wirtschafts- und Finanzkrisen können sich viele Gemeinden nur noch eine einzige Schule leisten. 


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Heute warnt Telekom Arbeitsdirektor Thomas Sattelberger vor einer verlorenen Generation: 


"Die Bildungssituation im Land besorgt mich. In diesem Jahr fehlt die Finanzierung für 50.000 Studieninteressierte. Ich finde das schlimm. Jeder, der vom Studium abgeschreckt wird, ist einer zu viel. Unternehmen und Arbeitgeberverbände haben schon lange darauf hingewiesen, dass die beiden Abiturjahrgänge, die steigende Studierneigung und die gleichzeitige Abschaffung der Wehrpflicht die Hochschulen überfordern werden. ...


Die malade Infrastruktur der Hochschulen, insbesondere die schlechte Betreuungssituation. Wie viel Pädagogik ohne Vermassung kann heute ein Student oder eine Studentin eigentlich noch erleben? Das persönliche Gespräch und das interaktive Lernen fehlen. Da begehen wir gerade schwere Fehler an den Hochschulen.
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 Wenn wir von Versagen sprechen, dann dem der Schule, die die Ausbildungsbefähigung nicht schafft, aber auch dem der Wirtschaft. Es gelingt uns noch nicht, kluge Brücken zu bauen für Menschen, die zwar nicht formal ausbildungsbefähigt sind, die aber trotzdem ausgeprägte Stärken und Talente besitzen. Wir haben in Deutschland fast 300.000 Jugendarbeitslose und 350.000 in der Warteschleife des Übergangssystems. Ich bin überzeugt, dass wir die Hälfte von ihnen in eine qualifizierende Ausbildung kriegen können.


...

Ich habe das mit meinen Ausbildern nachdrücklich diskutiert - denn sie hätten diese Leute mit normalen Auswahlverfahren wohl kaum in die Betriebe geholt. Wir hätten die Stärken und Begabungen mit unseren Auswahlverfahren auch gar nicht erst herausgefunden. ...  Diese Jugendlichen sind keine hoffnungslosen Fälle, bei denen ist irgendwas schiefgelaufen, was ihnen den Schneid abgekauft hat. Und jeder von denen hat eine bestimmte Stärke und einen Willen."
 Zitat-Quelle: taz



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