Freitag, 29. März 2013

Gemeinschaftsschule in BW ist kein "rotes" Projekt - Und auch kein "grünes"


Ist es so?

Vergleiche: Bohl/Meissner: Expertise Gemeinschaftsschule.
Forschungsergebnisse und Handlungs-Empfehlungen
für Baden-Württemberg. Beltz 2013


Siehe auch: Der Geburtsfehler der Gemeinschaftsschulen in BW.
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Schule "on demand"
Die Gemeinschaftsschule (GMS) in BW wird nicht flächendeckend eingeführt, die ist eine "Schulform on demand", d.h. sie muss von der Kommune beantragt werden, und dann wird zunächst im Kultusministerium (KuMi) geprüft, ob diesem Antrag - auf Grund bestimmter Kriterien - statt gegeben wird.

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In der ersten Staffel (2012/2013) wurden in BW 42 Gemeinschaftsschulen genehmigt. Wenn man sich anschaut, welche Parteien in diesen Kommunen die BürgermeisterInnen stellen, dann sieht das nicht rot und nicht grün aus:

Insgesamt gibt es 1109 Kommunen in BW.
42 davon haben in diesem Schuljahr eine GMS genehmigt bekommen.

Davon haben
  • 3 einen SPD-Bürgermeister,
  • 1 einen grünen Bürgermeister,
  • die meisten (16) einen CDU-Bürgermeister.
Die verbliebenen 22 teilen sich auf:
  • parteilos 11,
  • freie Wähler 7,
  • FDP 2,
macht zusammen 40; (zwei bleiben irgendwie übrig).
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Quelle: Kultus-Portal BW
Warum Gemeinschaftsschulen entstehen.
In der Praxis überwiegen zwei pragmatische Gründe:

Der demographische SchülerInnen-Rückgang
Der Trend weg von der Hauptschule. Vor 20 Jahren war die Hauptschule wirklich noch die Haupt-Schule, d.h. die meisten Kinder eines Jahrgangs gingen auf die Hauptschule. Heute wünschen sich nur noch 2% aller Eltern einen HS-Abschluss für ihr Kind. De facto gingen 2012 in BW 41% auf das Gymnasium, 34% auf eine Realschule und nur noch 24% auf eine Hauptschule.

Aus diesem Grunde mussten viele Gemeinden ihre Hauptschule (oder Werkrealschule, WRS, was in BW eine Hauptschule mit Klasse 10 ist) schließen, und die Hauptschul-Kinder der Gemeinde mussten in die nächste der Gemeinden fahren, in der es eine Hauptschule (HS) gibt. Die Lösung:
Wir beantragen eine Gemeinschaftsschule, dann können wir auch RealschülerInnen aufnehmen - und der Schul-Standort meiner Gemeinde ist gesichert. Die BürgermeisterIn freut sich und die Eltern der sog. "HauptschülerInnen" ebenso, denn die Schule bleibt im Ort und die früheren "Rest-SchülerInnen" werden nun gemeinsam mit "höheren" SchülerInnen unterrichtet. Das erspart Beschämung und Stigmatisierung. - (Ob es auch für das Lernen gut ist, bleibt an dieser Stelle erst einmal außen vor.)

Auch der Finanzminister der Landesregierung freut sich, denn die 377 Gymnasien im Ländle hatten über 300.000 SchülerInnen (also im Schnitt ca. 820 pro Schule), aber die ca. 158.000 HauptschülerInnen hatten 1176 Schulen, (also im Schnitt nur etwa 135 SchülerInnen pro Schule). - Da kann Geld eingespart werden. (Ob es auch für das Lernen gut ist, bleibt an dieser Stelle erst einmal außen vor.)

So treffen sich die Interessen von BürgermeisterInnen, Finanzminister und (zumindest) der HS-Eltern und LehrerInnen. Das war eine günstige Ausgangslage.

Die hat mit Pädagogik & Bildung zunächst mal nichts zu tun, doch wenn es nun auch noch dem besseren Lernen dient, dann würde es schon passen:

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"Schulträgern und Schulen wird es nun gelingen müssen, überzeugend zu vermitteln, dass es nicht allein um Standortsicherung unter verändertem Namen geht, sondern dass es ein qualitativ hochwertiges pädagogisches Konzept gibt, mit dem alle Kinder gleichermaßen optimal gefördert werden."
 Prof. Isabell von Ackeren, Uni Duisburg-Essen

Wenn man die Eltern der GMSn fragt 

(so geschehen in Berlin 2010), dann sagen 90% dieser GMS- Eltern, dass sie dieseSchulart gewählt haben, weil die GMS alle Abschlüsse anbietet, also auch das Abitur, ohne dass das Kind zwischendrin die Schule wechseln muss. -
  • Wenn ich also mein Kind auf eine GMS schicke, habe ich die Option auf alle Schulabschlüsse inklusive Abitur. Quelle
Nicht zu vernachlässigen eine Erfahrung aus den Regionen, in denen es Gesamtschulen gab und gibt: Es hört sich besser an, wenn ich den NachbarInnen sagen kann "Mein Sohn geht auf die Gesamtschule" oder "Meine Tochter geht auf die Gemeinschaftsschule", (weil dann die Option Abitur noch eingeschlossen ist) als wenn ich sage: "Mein Kind geht auf die Hauptschule". - Ein nicht zu vernachlässigender sozialpsychologischer Faktor.

Wie war das eigentlich damals bei den Gesamtschulen?

In den 1970er Jahren wurden in BW 7 Gesamtschulen gegründet (6 als Versuchsschulen (in Heidelberg, Mannheim-Herzogenrieth, Stuttgart-Neugereuth, Tübingen, Weissach im Tal, Weinheim) und 1 als Modellschule in Freiburg. Davon sind noch 3 dieser sog. Schulen besonderer Art übrig geblieben (in Mannheim, Freiburg, Heidelberg).
Anders als heute mussten damals - in der Zeit der Ersten Bildungs-Expansion - neue Schulen gebaut werden, weil die Schülerzahlen anstiegen. Die Gesamtschulen waren daher Neubauten mit neuen LehrerInnen, die sich gezielt dorthin beworben hatten. Das Durchschnittsalter der Kollegien lag dadurch oft eher bei 30 oder weniger als bei 40.

Neben der Demographie spielte auch eine Rolle, dass "Arbeiter-Kinder" besser gefördert werden sollten als im 3-gliedrigen Schulsystem (Kompensatorische Erziehung) und der so genannte Sputnik-Schock.

Die neuen Gemeinschaftsschulen in BW heute haben es insofern schwieriger als die damaligen Gesamtschulen; denn heute müssen sich jeweils 2 oder sogar 3 eingespielte Kollegien mit eingespielten Strukturen zu einer Gemeinschaftsschule zusammenraufen, die Schulgebäude sind nicht von vorne herein für die Bedürfnisse der neuen Schulart geplant worden usw.

Was man daraus schließen kann

Von den 42 Starterschulen des Schuljahres 2012/2013 sind nur 26 in ihrer Existenz auf Grund der Schülerzahlen gesichert, 16 aber gefährdet: Wenn die SchülerInnenzahl dieser 16 nur um wenige Anmeldungen zurück geht, werden sie geschlossen.
Wenn der Standort auf Grund der Schulplanung in der Region gesichert ist, dann besteht die Möglichkeit, dass die neue Gemeinschaftsschule zur Werkrealschule unter neuem Etikett wird. - Wenn sie das nicht will, dann muss sie sich im Wettstreit mit den anderen daneben existierenden Schularten profilieren. Gibt es in der Nähe ein G9-Gymnasium, hat sie wahrscheinlich besonders schlechte Karten...

Eine GMS braucht dehalb:
  • Das Angebot aller Schulabschlüsse inklusive Abitur, gegebenenfalls in enger Kooperation mit einem Gymnasium, wenn sie selber nicht genug SchülerInnen für eine eigene gymnasiale Oberstufe "produziert".
  • Förderung schwacher SchülerInnen, (damit sie nicht auf die Förderschulen abgeschult werden).
  • Förderung leistungsstarker SchülerInnen, damit die Schule auch die Kinder des Bildungs-Bürgertums anzieht.
  • Gutes tun und darüber reden, also ein attraktives Profil gegenüber konkurrierenden Schulen und Gymnasien - und das auch der Öffentlichkeit vermitteln. -
  • Dass man an einer GMS das Abitur in 9 Jahren statt in 8 Jahren ("G9" statt "G8") erreichen kann, hat z.B. eine sehr große Attraktion, wenn es in der Stadt keine G9-Gymansium gibt. 
Davon profitiert z.B. die Gemeinschaftsschule an der Geschwister-Scholl-Schule in Tübingen, die
  • a) eine gymnasiale Oberstufe im selben Haus hat und
  • b) keine G9-Konkurrenz in der Universitätsstadt. -So kann sie 4-zügig fahren (statt vorher 2-3 zügig als Realschule).
Aus eben diesem Grunde hat auch die Stadt Esslingen beschlossen, dass es kein G-9-Gymnasium in der Stadt geben soll. Wer das Abitur in Esslingen in 9 Jahren machen will, muss sein Kind auf eine GMS schicken.
  • Eine gute Kooperation mit anderen Bildungs-Anbietern in der Nähe (z.B. Volkshochschulen, Stadt-Bücherei, Sternwarte, Vereinen (z.B. Musik- und Sport-Vereinen) und auch: Jugendzentren, Jugendhilfe, Kirchen... - je nach der Situation vor Ort.
  • Ein besonderes Profil, z.B. Sport-Profil ("Jugend trainiert für Olympia"...), Kunst-Profil, Big Band, Posaunen-Chor, Orchester, "Schule ohne Rassismus- Schule mit Courage" ... .
Übrigens:
  • In der ersten Staffel (2012/2013) haben sich in BW 39 Hauptschulen/Werkrealschulen beworben und nur 2 Realschulen.
  • In der zweiten Staffel (2013/2014) 116 Haupt-/Werkrealschulen und nur 4 Realschulen.
  • Keine Gymnasien in beiden Staffeln.
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Bild-Quelle: Kultus-Portal BW



Donnerstag, 28. März 2013

Jedes Kind ist anders. Von Vielfalt, Diversity, Inklusion und Individualisierung



Jedes Kind ist anders.

"Die Einsicht, dass Menschen sehr verschieden sind, ist weit älter als 500 Jahre. Die Vielfalt hat wohl be­reits die griechischen Denker zum Grübeln gebracht. 


Dennoch sind wir immer noch nicht bereit zu akzeptieren, dass jedes Kind ein einzigartiges Wesen ist, und deshalb Normvorstellungen ihm weder in der Familie noch in der Schule gerecht werden können. -

Wenn Kinder auf die Welt kommen, sind sie bereits sehr verschieden. Einige haben ein Geburtsgewicht von weniger als 3, andere wiegen mehr als 4 Kilogramm. Sie unterscheiden sich voneinander in ihrem mimischen Ausdruck, beim Schreien und in ihrem Bewe­gungsverhalten. - Im Laufe der Entwicklung nehmen die Unterschiede zwischen den Kindern immer mehr zu. -
 

Es gibt kein Verhalten, das bei allen Kindern im selben Alter auftritt und gleich ausgeprägt wäre. Bis zur Oberstufe nehmen die Unterschiede zwischen den Kindern noch einmal deutlich zu.
Vielfalt kommt ausnahmslos bei allen Lebewesen vor, bei Einzellern und Bakterien genauso wie bei allen Pflanzen und Tieren. Ihr liegt ein allgemeines Prinzip der Biologie zugrunde. Vielfalt gibt es nicht nur unter den Kindern, sondern auch im Kind selbst. Eltern und Lehrer wundern sich immer wieder, wie unterschiedlich ausgeprägt einzel­ne Begabungen bei einem Kind sein können."


Remo Largo, Jg. 1943, Prof. em. für Kinderheilkunde, 3 Töchter, 4 Enkel.
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Der 7-g-Unterricht: 
Alle gleichaltrigen Schüler haben 
zum gleichen Zeitpunkt 
beim gleichen Lehrer 
im gleichen Raum 
mit den gleichen Mitteln 
das gleiche Ziel gleich gut zu erreichen.
(Hans Weigert, 1987)





Individualisierter Unterricht


Besteht nicht einfach nur in einem Methodenwechsel in den Hauptfächern, indem man in einer Klasse z.B. statt eines Mathebuchs sog. Lernpakete vorlegt, die Aufgaben auf verschiedenen Niveaustufen enthalten - auch wenn das schon ein Fortschritt sein kann. Denn individualisierter Unterricht kann nicht nur auf kognitiv-leistungsbezogene Heterogenität bezogen werden (siehe dazu weiter unten: Thorsten Bohl).


"Wenn man akzep­tiert, dass der individualisierte Unterricht nicht nur eine technische Modifikation darstellt, sondern eine kleine pädagogische Revolution bedeutet",  
(Remo Largo, 2012)


dann bedeutet "individualisiert unterrichten" mehr:
 

"Das Ziel einer kindgerechten Schule kann folgendermaßen charakterisiert werden:

  • Das Kind soll mit einem guten Selbstwertgefühl die Schule verlassen und ins Erwachsenenleben eintreten können. Denn nur mit einem guten Selbstwertgefühl wird es seine Zukunft auch mit Zuversicht in Angriff nehmen. Der junge Erwachsene soll die Oberzeugung haben: Ich schaffe es! Ich werde mich in dieser Gesellschaft behaupten!
  • Ein gutes Selbstwertgefühl hat ein Schüler dann, wenn die Schule für ihn eine positive Erfahrung war, das heißt, dass die schulischen Anforderungen für ihn mehrheitlich gut zu bewältigen und überwiegend mit Erfolg verbunden waren.
  • Zweitens soll der junge Erwachsene in der Schule alle wesentlichen Facetten seines Wesens entwickeln können, insbesondere seine Stärken, also die­ jenigen Fähigkeiten, auf denen er seine zukünftige Existenz aufbauen wird.
  • Er soll aber auch gelernt haben, mit seinen Schwächen umzugehen und diese als ein Teil seines Wesens zu akzeptieren.
(Remo Largo, 2012)
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Heterogenität, Vielfalt, Diversity, Differerence, Inklusion ...


 
Im 15. Kapitel dieses Buches (erschienen 2013) schreibt Prof. Bohl unter der Überschrift "Umgang mit Heterogenität im Unterricht":


Es geht "nicht nur um die Akzeptanz von Heterogenität, sondern um die aktive und bewusste Herstellung von Heterogenität, z. B. über schulsystemische oder schulor­ganisatorische Maßnahmen. [...]

Mindestens zwei Diskurslinien können unterschieden werden
 
1. soziokulturelle Heterogenität und 
2. leistungsbezogene Heterogenität. 
Der Diskurs verläuft dabei zumeist als Abweichung von einer (unklaren, verdeck­ten) Norm, in der »der Andere« als der Leistungsschwache oder der Migrant be­zeichnet wird. Soziokulturelle Heterogenität wird insbesondere mit den Differenzkategorien 
  • Gender, 
  • Ethnizität, 
  • Milieu 
  • und So­zialschicht diskutiert. 

[...] Der Anspruch des Umgangs mit Heterogenität innerhalb der Schule wird jedoch nicht nur von außen an die Schule herangetragen, etwa über die Einführung einer neuen Schulart wie die Gemeinschaftsschule, sondern wird auch innerhalb der Schule aufgrund bestimmter Handlungspraktiken aktiv erzeugt. Differenzlinien mit Blick auf Migration, Gender oder Leistungen werden innerhalb der Schule aktiv hergestellt oder verstärkt. Dies geschieht z. B. über geschlechts­spezifisches Aufrufverhalten, über Dramatisierung vs. Entdrama­tisierung von Geschlecht und Ethnie durch Lehrkräfte oder über Mechanismen institutioneller Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen aus bildungsfemen Familien und mit Migrationshintergrund. [...]" -  
Thorsten Bohl, 2013, S. 243 f
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Ein Beispiel aus England zum Thema soziokulturelle Heterogenität/ Gender





Die Autoin, Lisa Green, ist Engländerin - daher das manchmal etwas holprige Deutsch. Ich habe es der Authentizität des Textes wegen so belassen.

"Ich hatte am vergangenen Freitag, 22.3.13 , einen Treffen mit dem 'Education officer' von Stonewall in London. Stonewall ist ein englische Org, die anhand viele Kampaigne u.a. auch in Schulen, um gegen Homophobie und für Vielfalt zu werben - sie haben 2 Büros mit 45 bezahlte Angestellte!

Sie haben uns bei unserem Meeting ihre Strategie und Materialien offengelegt. Die Materialien von ihnen sind super und gehen, z.B. auch auf die gängige Widerstände aus SIcht der Schulen und LehrerInnen ein.

Ihre Strategie ist eindeutig 'top-down': 

Verankerung von Arbeit in Bezug auf "Diversity" in Gesetz und in Schul- Curriculum. Staatsangegliederte "Inspektoren" überprüfen/inspizieren die Schulen in Bezug auf verschiedenen Punkten, u.a. 'Diversity' (Vielfalt) in regelmäßige Abständen. Stonewall bietet die Materialien, die Teacher-trainings, um Schulen bei der Bewältigung der Aufgaben zu unterstutzen. Die Motivation der Schulen liegt in dem Bestehen der Überprüfung und das Streben nach einer guten Ranking.
 

Die Erstellung der Materialen erfolgten nach Forschung zu den Bedürfnissen der Betroffenen, die Universitäten oder Meinungsumfragen-Institutionen im Auftrag von Stonewall erhoben haben. Aufgrund der Ergebnissen werden die Materialien entwickelt. Es gibt bisher 3 Berichte: eins zu lgbt (lesbian, gay, bisexual, transgender) Jugendliche, eins zu LehrerInnen, eins zu Kinder aus Regenbogenfamilien.

Die Ausgangslage von Stonewall ist etwas anders, wie bei uns: sie wollen 'homophobic bullying', homophobes Mobbing,  von lgbt-Jugendlichen unterbinden. Dabei geht es ins gesamt um der Umgang mit Unterschiedlichkeit. 

Sie fingen in weiterführenden Schulen an und arbeiteten sich nach und nach unten in die Grundschulen. Die Widerstand in der Grundschule hing mit der Frage zusammen, was 'sex' und 'adult lifestyles' mit Grundschule-Kinder zu tun hat? Unser Ausgangslage ist anders, durch das Vorpreschen der Regenbogenfamilien wollen wir das Thema lgbt in Grundschulen und nach und nach in weiterführenden Schulen anbringen.

Dieses Thema ist für Regenbogenfamilien sehr wichtig. Inzwischen sind die meisten Kindern aus den ersten Wellen der Regenbogenfamilien Baby-boom in BRD in der Schule angekommen. Bislang hat jede Familie eine private, 'bottom-up' Strategie verfolgt: man redet mit den LehrerInnen, ist aktiv und präsent in Schule als ElternsprecherIn, es gibt mein Info-blatt und Kinderbuch zur Aufklärung...evtl. gibt es Sachen, wovon ich nicht weiß. Dabei bleibt das Thema an der jeweilige Familie und betroffenen Kind hängen.

Da einige Kinder diesen fokusierten Aufmerksamkeit nicht mögen oder nicht alle LehrerIn dafür zu gewinnen sind, wäre für alle besser, wenn auch wir [in Deutschland] einen top-down Strategie hätten. Unser Schule & Homosexualität Projekt [des LSVD] strebt eben das an, wenn ich alles richtig verstanden habe. Was ich aus den Mails gelesen habe, sind bereits Vorstosse von unsere Seite da, über das Kultusministerium das Thema unter 'Vielfalt' im Schul-Curriculum zu verankern. In England war das, das "a und o". Die Motivation der Schulen sich tatsächlich (auch noch) damit zu befassen liegt an die Inspektionen, die die Umsetzung in Schulen überprüfen.

Das sind evtl. sinvolle Ansätze, die man auf Ba-Wü übertragen könnte?"


Informationen zu den Aufklärungsmaterial, die ich entwickelt habe, die für Euch evtl. hilfreich oder interessant sind:
1. Infoblatt für ErzieherInnen und LehrerInnen
2. Kinderbuch "Die Geschichte unserer Familie" von Lisa Green und Petra Thorn



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Mittwoch, 27. März 2013

Kultusministerium BW, der Aktionsplan für Toleranz und Gleichstellung & das Hornberger Schießen



Es war einmal im Jahr 2007 -

als in BW noch Helmut Rau Kultusminister in der damaligen CDU/FDP-Landesregierung war - da stellte die Landtagsfraktion der GRÜNEN aus der Opposition heraus einen Antrag an die Regierung:

„Antrag der Abg. Renate Rastätter u. a. GRÜNE:
Gleichberechtigte Darstellung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen im Unterricht verankern“. Landtags- Drucksache 14/1432
".
Und der Kultusminister antwortete - wie es Brauch ist - auf die Anfrage dem damaligen Präsidenten des Landtages.
Schreiben des MINISTERIUMs FÜR KULTUS, JUGEND UND SPORT BADEN–WÜRTEMBERG (Helmut Rau MdL, Minister), vom 22. Juni 2007 an den Präsidenten des Landtags von Baden-Württemberg, Herrn Peter Straub MdL.


Die Antwort war windig:

»Selbstverständlich ist Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensweisen ein wesentliches Ziel auch der neuen baden-württembergischen Bildungspläne. Die "Bereitschaft, andere Auffassungen zu tolerieren" wird nicht nur in Religion (Zitat der Leitgedanken Religion Hauptschule, S. 22) gefordert und es steht - ganz im Sinne der oben genannten Freiheit der Unterrichtenden- den Schulen frei, Toleranz … an der Frage der gleichgeschlechtlichen Lebensweisen einzuüben. ...

In vielen Fächern kann - im Sinne der oben skizzierten neu gewonnenen Freiheit der Schulen - das Thema gleichgeschlechtlicher Lebensweisen behandelt werden, sei es im neuen Fächerverbund Materie, Natur, Technik der Hauptschule, …

Auch wenn das Thema 'gleichgeschlechtliche Lebensweisen' - wie viele andere Einzelthemen - im neuen Bildungsplan nicht ausdrücklich erwähnt wird, so gibt es darin doch vielfältige Möglichkeiten ...« -

"Bla Bla" könnte man schülerfreundlich ergänzend hinzufügen: Alles kann, nichts muss.
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Seit 2007 ist einiges Wasser den Neckar hinunter geflossen, ein Wertewandel ist eingetreten.
Vor wenigen Jahren noch undenkbar: Die Christdemokraten streiten über die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften. Selbst katholische Moraltheologen wie Eberhard Schockenhoff sehen Handlungsbedarf.



 


Die neue rot-grüne Landesregierung in BW
 versprach in ihrem Aktionsplan für Toleranz und Gleichstellung:


„Wir werden baden-württembergische Schulen dazu anhalten, dass in den Bildungsstandards sowie in der Lehrerbildung die Vermittlung unterschiedlicher sexueller Identitäten verankert wird. In einem landesweiten Aktionsplan für Toleranz und Gleichstellung wollen
wir Konzepte entwickeln, um Vorurteile abzubauen und Baden-Württemberg zu einem Vorreiter für Offenheit und Vielfalt zu machen.“
Doch der Aktionsplan für Toleranz und Gleichstellung scheint im "roten" Kultusministerium in Stuttgart im Jahr 2013 unter Kultusminister Stoch  genau so auszugehen wie im "schwarzen" unter Kultusminister Rau im Jahre 2007, nämlich wie das Hornberger Schießen.


Das Hornberger Schießen
ist das Ereignis, das die Redewendung „das geht aus wie das Hornberger Schießen“ hervorgebracht hat. Die Wendung wird gebraucht, wenn eine Angelegenheit mit großem Getöse angekündigt wird, aber dann nichts dabei herauskommt und sie ohne Ergebnis endet. [wikipedia]
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Regenbogenfahne und Landesfahne vor der Villa Reitzenstein,
dem Sitz der Landesregierung BW als Symbol für Toleranz und Vielfalt.-
Im Kultusministerium eine noch unerledigte Aufgabe.


Deshalb haben sich die größte Bildungsgewerkschaft Baden Württembergs, die immerhin fast 50.000 Mitglieder im Ländle vertritt, so wie VertreterInnen der Elternschaft, VertreterInnen von Schulprojekten und der LSVD an das Kultusministerium gewandt und eingefordert, das Versprechen des Koalitionsvertrages einzuhalten.

Zum Beispiel:

  • Verschiedene Arten von Vielfalt müssen in den neuen Bildungsplänen UND in der Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen & Lehrern verpflichtend berücksichtigt und explizit benannt werden - so wie es auch das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz formuliert: „Ziel des Gesetzes ist es, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“ (AGG § 1).
  • Bei der Neufassung der Bildungspläne eine explizite Benennung der sexuellen Identität als Querschnittsthema UND als Thema in unterschiedlichen Fächern und in allen Altersstufen der künftigen Bildungspläne konsequent und durchgängig zu verankern.
  • Dass das Kultusministerium klare Erwartungen und Aufforderungen gegenüber den Schulbuchverlagen formuliert. Diese müssen beinhalten, dass in den Schulbüchern alle Lebensformen ohne Klischees und Stereotype dargestellt werden. Geschieht das nicht, können die Bücher für die Verwendung im Unterricht nicht genehmigt werden.
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Siehe auch:

  •  Schwuchtel geht flott über dieLippen
    “Während die Gesellschaft höflich über die Homoehe streitet, herrscht auf Schulhöfen ein anderer Ton. „Schwul“ gilt dort als eines der häufigsten Schimpfworte.“
    berichtet die Süddeutsche Zeitung am 13.3.13 unter dem Titel .


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Dienstag, 26. März 2013

Oelkers: Kriminalgeschichte der Reformpädagogik


Ok, eigentlich heißt das Buch von Prof. Oelkers etwas anders:



Aber immerhin hat es wenigstens mit Sex and Crime zu tun, und es erinnert mich an die "Kriminalgeschichte des Christentums" von Karlheinz Deschner. Denn so wie Deschner das Christentum am liebsten ungeschehen machen möchte, so möchte es Oelkers gerne mit der Reformpädagogik handhaben.

So wenig wie Deschners Bücher den Anspruch erheben können, die Geschichte der Kirche und des Christentums kritisch-angemessen und umfassend zu würdigen, so wenig ist Oelkers Buch eine Geschichte der Pädagogik dieser Zeit (Blütezeit ca. 1900-1950). 

Das Buch beschäftigt sich, wie im Titel angezeigt, auf seinen gut 300 Seiten (nur) mit den DUNKLEN SEITEN DER REFORMPÄDAGOGIK und kommt zu dem Schluss:

Das wahre Gesicht der ursprünglichen Reformpädagogik ist gekennzeichnet von getarnten sexuellen Übergriffen, der Demütigung zahlreicher Schüler, von Führerkult und Intrigen.
Und weil DIES das wahre Gesicht der Reformpädagogik ist (und die anderen 99% nur Tarnung und Täuschung), deshalb schüttet Oelkers dann auch das Kind Reformpädagogik mit dem Bade aus und stampft die gesamte Reformpädagogik in Grund und Boden.


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Ich muss sagen: Es lohnt sich, das Buch zu lesen, was Oelkers ausgegraben hat an dunklen Seiten ist wirklich spannend zu lesen und vielleicht auch anderswo nirgends so komprimiert zu finden. 

Ich muss auch sagen: Ich habe mich schon im Studium mit der Reformpädagogik des 20. Jahrhunderts befasst, habe später zahlreiche Reformschulen von England (Summerhill) über Dänemark (Tvind) bis Deutschland besucht (die Laborschule in Bielefeld, die anthroposophische Hibernia-Schule in Wanne-Eickel, die Odenwaldschule in Oberhambach u.a.), doch hätte ich mir nicht träumen lassen, was dann über Gerold Ummo Becker, der von 1972-1985 Leiter der Odenwaldschule war, über die sexuelle Ausbeutung von Schülern ans Tageslicht kam. 
Auch was Oelkers über  das private Internat Abbotsholme und seinen Gründer Cecil Reddie (1858–1932) schreibt so wie über Gustav Wyneken (1875-1964) habe ich so nicht gewusst und geahnt. Nur Paul Geheeb, der Gründer der Odenwaldschule, kommt als Frauenheld in dem Buch noch relativ gut weg. 


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Trotzdem habe ich mich manchmal gefragt, was Oelkers antreibt, mit solchem Furor und solcher Vehemenz "die" Reforpädagogik in Bausch und Bogen verdammen zu wollen. 

Wer sich einen angemesseneren Überblick über die Geschichte der Reformpädagogik verschaffen will und die Zeit dazu hat, der oder die möge sich doch erst mal das Buch von Oelkers ausleihen und gleich danach dieses Buch (erschienen 2012) lesen:


Dann hat man den Eindruck:

Was vor über 100 Jahren im In- und Ausland als "Befreiung des Lernens" in einer "neuen Schule" begonnen wurde, hat auch heute für Schul- und Unterrichtsentwicklung noch ungeschmälerte Innovationskraft.
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