Mittwoch, 2. Mai 2012

Bildungspanik hier - und Aufstände dort


Panik hier: 

Der Soziologe Heinz Bude, Jg. 1954, Professor an der Uni Kassel, hat ein Buch mit dem Titel  "Bildungspanik" geschrieben:


Er meint damit panische Verhaltensweisen von Eltern, der „nervösen Aufsteigerfraktion der Mittelklassen“, die ihren Kindern die besten Plätze in den besten Schulen sichern wollen, möglichst schon in den besten Kindergärten und Grundschulen. - Angst vor zu vielen ausländischen Kindern in der Klasse, vor LehrerInnen, die den eigenen Kindern vielleicht die Zukunftschancen verbauen. 

Deutschland scheint von der aktuellen Wirtschaftskrise kaum erfasst zu sein, es gibt noch Arbeitsplätze, wenn auch viele prekäre. Fachkräfte fehlen angeblich -  (manche sagen: Es gibt genug Fachkräfte, sie verlangen nur zu viel Geld, und die Wirtschaft möchte lieber per Blue-Card billige ausländische Fachkräfte anheuern, deren Ausbildung von deren Heimatländern bezahlt wurde - aber das ist ein anderes Thema...) -  und da möchten natürlich Eltern auf das Versprechen und die Hoffnung, dass ihre Kinder durch möglichst gute und hohe Bildung einen guten Arbeitsplatz bekommen werden, gut bezahlt und sicher - und nicht prekär. 

Siehe dazu auch:



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Um ihren Kindern die (vermeintlich?) beste Bildung zu geben, nehmen manche Eltern lange Fahrzeiten zur Schule in Kauf und investieren viel Geld in zusätzliche Lernangebote. Nur die beste Schule und Exzellenz-Hochschule scheint gut genug zu sein. Staatliche Schulen, die in Deutschland den größten Anteil an Schulen ausmachen, sind Manchen nicht mehr gut genug. Steigende Anmeldezahlen bei Privatschulen, jede Menge zusätzlicher Unterricht außerhalb des Stundenplans, dazu Bildungsaktivitäten in jeder freien Minute – eine breite Bildungspanik habe die Gesellschaft erfasst, meint Heinz Bude. 

Früher sei in der Regel die nächstliegende Grund- oder weiterführende Schule die richtige gewesen. Heute aber, so Bude, sei das ganz anders: "An jeder Stelle der Bildungskarriere müssen Eltern weitreichende Entscheidungen treffen."

Die Panik, so Bude, komme daher, dass viele Eltern von der Situation und den zu treffenden Entscheidungen überfordert seien; zudem werde diese Panik durch internationale Bildungsvergleiche (PISA und andere) noch verstärkt, bei denen Deutschland nur mittelmäßig abgeschnitten hatte. Die jüngste Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), "Education at a glance", sorgt für weitere Unruhe: Schließlich hat die OECD festgestellt, dass Deutschland bei den Bildungsausgaben nur auf Platz 30 von 36 teilnehmenden Staaten landet. 

In Deutschland wird das Gymnasium zur "Hauptsach-Schule" ("Hauptsache Gymnasium - Hauptsache Abitur"), manche sprechen vom Gymnasium als neuer "Volksschule". - Das muss auch an sich nicht schlecht sein, nur: Auch die Lehrkräfte an den Gymnasien ergreift die Panik, die Angst vor dem Ansturm, Angst vor der Verflachung des Niveaus, Angst davor nicht mehr "unter sich", unter Bildungsbürgern, zu sein.
Dort, wo es in hier BW neuerdings Gemeinschaftsschulen gibt, werden sie nur dann angenommen, wenn eine gymnasiale Oberstufe angeschlossen ist und in der Klasse 5 schon mindestens 30% sog. "Gymnasialkinder" sitzen.
So viel zu dem Buch von Heinz Bude und der Bildungspanik in Deutschland. 
In der überregionalen Presse findet man zahlreiche Kommentare, zum Beispiel hier
 
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Aufstände dort: 


Wolfgang Kraushaar, Jg. 1948, Politikwissenschaftler in Hamburg und Gast-Professor in Peking, hat in diesem Jahr ein Buch veröffentlicht unter dem Titel: "Aufruhr der Ausgebildeten. Vom Arabischen Frühling zur Occupy-Bewegung". 





In Deutschland, wo die Wirtschaft derzeit noch brummt, hoffen die Eltern auf Aufstieg durch Bildung. Heute kam in den Nachrichten:

Zahl der Arbeitslosen sinkt erneut.  Die Zahl der Arbeitslosen ist im April 2012 um 65.000 unter die 3 Millionen Marke gesunken. Die Arbeitslosenquote sinkt damit um 0,2 Punkte auf 7,0 Prozent.

In anderen Ländern Europas wie Griechenland, Spanien, Portugal sind diese Hoffnungen zerstoben. Dort gibt es Aufruhr: M12M in Portugal, "Democracia real ya" in Spanien, Occupy... 

In den arabischen Ländern fegte die Protestbewegung von jungen gut gebildeten Akademikern die Diktaturen hinweg.  
Den Kern der Revolte bildeten - egal ob in Kairo, Madrid, Tunis, New York, Frankfurt oder anderswo, bei uns in Europa und in der Arabellion - so Kraushaar - (neben den Armen) die enttäuschten Kinder des Bürgertums, die studiert haben, nun arbeitslos sind, jobben, ein Praktikum nach dem anderen absolvieren und keine Aussicht auf Besserung sahen oder sehen. 


Bildung - das Aufstiegsversprechen für die Mittelschicht - darauf können die Eltern in Deutschland noch hoffen. Anderswo ist Bildung zum Armutsrisiko geworden: In Marokko, Tunesien und Ägypten ist die Arbeitslosigkeit bei Hochschulabsolventen doppelt so hoch wie im Durchschnitt. 
So wie 1968 macht auch jetzt wieder die gebildete akademische Jugend global mobil.  Aber - so Kraushaar - den 1968er standen noch alle Wege nach oben offen...


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