Dienstag, 26. November 2013

Früher, in den 1970er Jahren, sprach man mal von Chancengleichheit als Ziel

Um diesen Platz geht es!
CDU-Werbung 1957 (Quelle)



Mit Bildung und dem Ausbau des Bildungssystems war in der Vergangenheit häufig die Hoffnung verbunden, soziale Ungleichheiten abzubauen.

Dass Chancengleichheit nicht wirklich hergestellt wurde, haben die französischen Soziologen Pierre Bourdieu und Jean-Claude Passeron schon in den 1960er Jahren gezeigt.

(Bourdieu, Pierre; Passeron, Jean-Claude: Die Illusion der Chancengleichheit. Untersuchungen zur Soziologie des Bildungswesens am Beispiel Frankreichs. Stuttgart: Klett 1971).

Von der Bourdieuschen Bildungsforschung wird auch der Begriff Chancengerechtigkeit [der jetzt in der aktuellen Bildungs-Politik in BW gebraucht wird] als Teil einer politischen Kampagne kritisiert:

»Chancengerechtigkeit«, wie sie seit Anfang der 80er Jahre in der Bundesrepublik diskutiert wurde, meint jene »Gerechtigkeit«, die die »Leistungen« der Eltern »gerechterweise« an die Kinder weiterzugeben erlaubt und die »ungerechte Gleichmacherei« konterkariert. Sie meint somit nichts als die Legitimation sozial-hereditärer Privilegienweitergabe. [wikipedia]
(Pierre Bourdieu: Wie die Kultur zum Bauern kommt. Über Bildung, Klassen und Erziehung. Schriften zu Politik & Kultur 4)

Wer mehr über Chancengerechtigkeit lesen möchte, kann das bei Bourdieu tun:
Die im 2001 erschienenen Buch  - (das Buch ist vergriffen, wird aber derzeit nachgedruckt und soll ab Januar 2014 wieder zur Verfügung stehen) - zusammengestellten Beiträge des Soziologen Pierre Bourdieu verdeutlichen die Bedeutung des Themas Bildung und vermögen der hiesigen Bildungsdebatte einen Stachel zu versetzen.
»Das letzte Buch von Pierre Bourdieu erweist sich als eine instruktive Sekundärliteratur zur Pisa-Studie: Warum der Begriff 'demokratische Elite' Gerede ist, solange die deutsche Schule Bildungsnachteile von Kindern aufgreift - und verstärkt ... Eliten werden zwar nicht mehr geboren. Dennoch werden sie durch Geburt in einem Kontext verankert, der sie für spätere Funktionen prädestiniert. Schule und Hochschule zu betrachten bedeutete für Bourdieu also zugleich, gesellschaftssteuernde Mechanismen zu analysieren. Nichts hat die Notwendigkeit dazu klarer gezeigt als die Resultate der Pisa-Studie für Deutschland.«
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Christoph Butterwegge, Professor für Politikwissenschaft am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften an der Universität Köln, ist Verfasser zahlreicher Schriften und Beiträge zu seinem Schwerpunktthema Armutsforschung.


Zum Thema Gerechtigkeit und Bildungs-Gerechtigkeit sagt er:

"Mit dem Begriff Gerechtigkeit wird zunehmend Schindluder getrieben. An die traditionelle Vorstellung von Gerechtigkeit wird kaum noch angeknüpft. Früher in den 70er Jahren sprach man mal von Chancengleichheit als Ziel.

Heute nehmen nicht nur die FDP, sondern auch andere Parteien diese Chancengerechtigkeit in ihre Programmatik auf. Damit ist aber gar nichts ausgesagt, es ist so, als würde man mir und allen anderen ermöglichen, zur Lottoannahmestelle zu gehen und Lotto zu spielen. Dann hätten wir diese Art von Chancengerechtikeit.
Eines jedenfalls ist vollkommen unbestreitbar: Gerechtigkeit kann es nur geben, wenn es ein Mindestmaß von sozialer Gleichheit gibt.

Das auszublenden, dass das [soziale Gleichheit] nicht der Fall ist, es möglichst zu verdrängen, ist Ziel der Propagierung von solchen neuen, modischen Vokabeln und Leerformeln. Sprachkritik ist auch sehr wichtig. Die Verdrehung von Worten und Werten, die Umdeutung tradierter Begriffe wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Reform, das ist Sprachmissbrauch als politisches Instrument zum Zweck der ’Gehirnwäsche‘ und Vernebelung ihrer ursprünglichen Bedeutung.

Nur Bildung reicht nicht

In der Zeit des ’Wirtschaftswunders‘ in der Bundesrepublik gab es den Slogan ’Wohlstand für Alle‘, er stammt vom 1957 erschienenem gleichnamigen Buch von Ludwig Erhard.

Heute ist nur noch ’Bildung für alle‘ das Versprechen, 

das die Bundeskanzlerin gibt. Dieses Versprechen, die Armut mit Bildung zu bekämpfen, kann vielleicht für Einzelfälle funktionieren, es ist aber Bildung längst kein Garant mehr dafür, dass sie ein berufliches Fortkommen und gutes Einkommen sichert.

  • 11 Prozent aller im Niedriglohnsektor Tätigen haben z. B. einen Hochschulabschluss. 
  • Selbst im öffentlichen Dienst an den Hochschulen sind es 80 Prozent inzwischen, die nur noch eine befristete Stelle haben. Also das ist ein Bereich, der ja allgemein als gesellschaftlich privilegiert gilt. 
  • Dennoch wird unverdrossen propagiert, es soll aus der Bundesrepublik eine Bildungsrepublik gemacht werden. Wer keine oder nur schlecht bezahlte Arbeit hat, hat eben nicht genug Bildungsanstrengungen gemacht.
  • Tatsächlich ist es aber so, dass bei immer besserer Bildung die Jungen z. B. einfach nur auf höherem Niveau um die Arbeitsplätze konkurrieren, unbezahlte Praktika machen und dass noch mehr Taxifahrer mit Hochschulabschluss herumfahren.
  • Und an den Hochschulen selbst ist die Bildung ja auch ’verschlankt‘ worden. Unter Bildung wird nur noch berufliche Qualifikation verstanden, die Hochschulen sollen in möglichst kurzen Studiengängen, sprich Bachelor-Studiengängen, für den Arbeitsmarkt die erforderlichen Kräfte produzieren." (Quelle und der ganze Text)
Fazit I:
  • "Bildungsversprechen taugen nicht zur Armutsbekämfung." 
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 Fazit II:
  • "Gerechtigkeit kann es nur geben, wenn es ein Mindestmaß von sozialer Gleichheit gibt."
"Es ist ja heute schon so, dass nur noch Rudimente der ehemaligen Ansprüche der Arbeitnehmer und Arbeitslosen übrig geblieben sind.
Dahinter steckt die Absicht, dass der Sozialversicherungsstaat in der Tradition Bismarcks mehr und mehr zu einem Fürsorge-, Almosen- und Suppenküchenstaat gemacht wird.
Im Resultat führt das zu einer ’US-Amerikanisierung‘ unseres Sozialstaats.
  • Und es führt dazu, dass den prestigebedachten Reichen die Möglichkeit eröffnet wird, zu spenden, zu stiften, als Mäzene aufzutreten und Almosen zu verteilen.  
  • Almosen übrigens, die verteilte der Sozialstaat vor seiner Demontage nämlich gerade nicht, weil er die Grundrechte beachten musste und sein Handeln auf Rechtsansprüchen beruhte. Almosenempfänger hingegen haben keinen Rechtsanspruch. Sie sind der Bereitschaft der Reichen ausgeliefert, etwas abzugeben von ihrem Reichtum. 
Projekt der "Breuninger-Stiftung"

... Die Bedürftigen hingegen haben die Freiheit, Wohlverhalten, Bescheidenheit, Fügsamkeit und natürlich auch Dankbarkeit an den Tag zu legen – oder auch nicht."
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Siehe auch:

1 Kommentar:

  1. Aber Hallo!
    Ich finde Ihren Eintrag hier und die darin geschilderten Entwicklungen sehr treffend und pointiert! Besonders Fazit 2 trifft ein im öffentlichen Diskurs kaum mehr wahrgenommenen Verfall der Sozialstaatlichkeit.
    Die Bezeichnung als "verbliebene Rudimente" trifft den Nagel auf den Kopf, auch weil meine Generation der Mittzwanziger die früheren Errungenschaften und Privilegien des Wohlfahrtsstaats in Zeiten unbezahlter Praktika schon fast als Utopie erscheinen.

    Sie habe in mir einen neuen Follower gefunden! Vielleicht schauen Sie ja mal auf meinen noch sehr jungen Blog, ich werde Ihre Arbeit auf jeden Fall lobend hervorheben!

    Viele Grüße,
    Chris

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