Freitag, 7. Juli 2023

Putins Rache

 Aurora

(Originaltitel: Archangel) ist ein 1998 erschienener Roman des britischen Schriftstellers Robert Harris. Der Thriller thematisiert die Recherchen eines britischen Historikers in der stalinistischen Vergangenheit Russlands, dabei verknüpft der Autor Fiktion mit historischen Fakten. [Wikipedia]

Inhalt: Der britische Historiker Fluke Kelso
nimmt an einem internationalen Historiker-Kongress in Moskau teil. Aus dem Fenster seines  Moskauer Hotels Ukrainia schaut er auf die Stadt. Dabei telefoniert er mit seinem US-amerikanischen Historiker-Kollegen Frank Adelmann von der Yale-Universität, der im Stock unter ihm sein Zimmer hat und ebenfalls aus dem Fenster schaut.

"Unterhalb Kelsos Zimmerfenster breitete sich Moskaus glitzernde Nachtlandschaft aus. Leuchtreklame schwebte über der Stadt wie die Standarten einer Invasionsarmee: Philips, Marlboro, Sony, Mercedes-Benz.
Früher einmal war es in Moskau nach Sonnenuntergang so dunkel gewesen wie in einer x-beliebigen Stadt im afrikanischen Dschungel. Das war jetzt vorbei.
Nirgendwo war ein russisches Wort zu sehen.
Kelso: »Ich hätte nie geglaubt, daß ich das einmal erleben darf. Sie etwa?«
Adelmanns Stimme knisterte aus dem Hörer:
»Das ist der Sieg, den wir vor uns sehen. mein Freund. Ist Ihnen das klar? Der totale Sieg.«
»Glauben Sie das wirklich Frank? Für mich sieht es nur aus wie eine Menge Lichter.«
»Oh nein. Es ist mehr als nur das, glauben Sie mir. Von hier aus führt kein Weg zurück.«
»Und als nächstes wollen Sie mir vermutlich erzählen, es wäre >das Ende der Geschichte<.« 

»Vielleicht ist es das. Aber Gott sei Dank nicht das Ende der Historiker.«
Adelmann lachte. »Wir sehen uns im Foyer. Sagen wir, in zwanzig Minuten.» Er legte auf.
[...] Das Ende der Geschichte, so ein Blödsinn dachte er. Moskau war die Stadt der Geschichte. Das war das ganze verdammte Land der Geschichte."

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Der Begriff  Ende der Geschichte (englisch End of History) wurde vom Politikwissenschaftler Francis Fukuyama durch einen im Sommer 1989 veröffentlichten Artikel in der Zeitschrift The National Interest und ein Buch mit diesem Titel (The End of History and the Last Man, 1992) popularisiert. Er führte zu Kontroversen bis in die Leitartikel diverser Zeitungen. [Wikipedia]

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Putins Rache?

Wladimir Wladimirowitsch Putin,
* offiziell am 7. Oktober 1952 in Leningrad, ist ein russischer Politiker. Er führt seit dem 31. Dezember 1999 (mit formeller Unterbrechung von 2008 bis 2012) die Amtsgeschäfte als Präsident der Russischen Föderation. Von August 1999 bis Mai 2000 sowie von Mai 2008 bis 2012 war Putin Ministerpräsident Russlands. […] Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 sind die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen zerrüttet […]. Im Februar 2022 überfiel Russland die Ukraine militärisch. […] Der von ihm als „Spezialoperation“ bezeichnete Angriffskrieg löste eine Flüchtlingswelle von über 6 Millionen Ukrainern über die Landesgrenze sowie von ca. 8 Millionen Vertriebenen im Inland aus. [Wikipedia, abgerufen 7.6.2023] 

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Das Projekt Cassandra


"Projektleiter Jürgen Wertheimer, Professor für Internationale Literatur in Tübingen, beschäftigt sich bereits seit den 1980er Jahren mit der Frage, wie sich gesellschaftliche Stimmungen und Gefühle in literarischen Texten niederschlagen – und wie umgekehrt auch literarische Texte in die Gesellschaft hineinwirken und bestimmte Entwicklungen verstärken können.

Drei Jahre lang erforschte Projekt Cassandra im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung das prognostische Potential von Literatur
in konfliktgefährdeten Regionen. Die Hypothese: Krisen und Konflikte zeichnen sich bereits Jahre vor ihrem gewaltvollen „Ausbruch“ in der Literatur ab. Den meisten Kriegen geht ein „Krieg der Wörter“ voraus. Projekt Cassandra hat es sich zur Aufgabe gemacht, anhand von Literatur- und Rezeptionsanalysen drohende Krisen und Konflikte bereits in ihrer Latenzphase zu erkennen. Literatur als Frühwarnsystem, um nicht von vermeintlich plötzlichen „Zeitenwenden“ überrascht zu werden.
" [Quelle]
Vielleicht ist der Roman von Harris ein Beispiel dafür, wie anhand von Literatur drohende Krisen und Konflikte bereits in ihrer Latenzphase erkannt werden können: Literatur als Frühwarnsystem, um nicht von vermeintlich plötzlichen „Zeitenwenden“ überrascht zu werden?

Harris`s Roman Aurora

spielt im Jahr 1997 unter der Präsidentschaft von Boris Jelzin und erschien im Jahr 1998.
Am 12. Juni 1991 war Boris Jelzin bei den ersten russischen Präsidentschaftswahlen zum Präsidenten der Russischen Teilrepublik (RSFSR) gewählt und 1996 wiedergewählt worden . - Er war bis zu seinem Rücktritt am 31. Dezember 1999 im Amt, also insgesamt 8½ Jahre.

1997/98 hatte der heutige Präsident Wladimir Putin noch kein Regierungsamt in Russland inne.
Putin wurde 1989 zum Vize-Direktor der Universität St. Petersburg berufen. Im Jahr 1992 schied er mit dem Dienstgrad eines KGB-Offiziers in der ersten Hauptabteilung der Auslandsspionage aus dem Dienst des sowjetischen Geheimdienstes KGB aus.
Ab 1996 arbeitete Putin im Moskauer Kreml unter der Führung von Boris Jelzin. - 1998 stieg er zum Chef des Geheimdienstes FSB, im März 1999 zum Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates auf. -
In der Neujahrsnacht 2000 trat der russische Präsident Boris Jelzin von seinem Amt zurück. Der seit längerem gesundheitlich angeschlagene Jelzin gab der überraschten Weltöffentlichkeit Wladimir Putin als seinen Nachfolger bekannt. [Quelle] ...

Im Roman

begibt sich der oben genannte Historiker Dr. Fluke Kelso bei einem nächtlichen Ausflug in einen Club der Reichen und Schönen, der Prostituierten und der Geschäftsleute.  Dort erkennt ihn - "Großartig! Das hatte ihn gerade noch gefehlt" - ein US-amerikanischer Fernsehreporter, der in Moskau arbeitet. Der brüllt, um die Musik zu übertönen: "Das neue Russland. Man kauft sich, was immer man haben will, und es ist immer jemand da, der es verkauft."
Die beiden Männer kommen ins Gespräch:

Reporter zu Kelso: "Es ist wie in der Weimarer Republik.
Haben Sie nicht genau das geschrieben? Schauen Sie sich doch um. Das einzige, was noch fehlt, ist Marlene Dietrich, in einem Smoking, und wir könnten ebensogut in Berlin sein. Mir hat Ihr Buch übrigens gefallen, Professor. Habe ich Ihnen das schon gesagt?"
Kelso: "Haben Sie. Danke. Prost!"
Reporter: "Die Weimarer Republik, so sehe ich es. Genauso, wie Sie es sehen. Sechs Dinge sind gleich, okay? 

  • Erstens, da ist ein großes Land, ein stolzes Land, das sein Imperium verloren hat, im Grunde einen Krieg verloren hat, sich aber nicht vorstellen kann, wie das passieren konnte - also glaubt es, daß ihm jemand einen Dolchstoß in den Rücken versetzt hat, also gibt es massenhaft Ressentiments, richtig?
  • Zweitens, Demokratie in einem Land, das keinerlei demokratische Tradition hat die Russen können Demokratie nicht von einem Loch in der Erde unterscheiden -, die Leute mögen sie nicht, haben das ganze Diskutieren satt, sie wollen eine starke Linie, irgendeine Linie. 
  • Drittens: Grenzprobleme - massenhaft Volksangehörige leben plötzlich in anderen Ländern, behaupten, dort unterdrückt zu werden. 
  • Viertens: Antisemitismus- man kann Marschlieder der SS an jeder Straßenecke kaufen. Bleiben noch zwei Punkte." 

Kelso: "Und welche sind das?" Es gefiel ihm gar nicht, daß seine Ansichten von O'Brian so plump nachgeplappert wurden, als wäre er ein Tutor in Oxford.

  • Reporter: "Wirtschaftlicher Zusammenbruch, und der wird kommen, glauben Sie nicht?"

Kelso: "Und?"

  • Reporter: "Liegt das nicht auf der Hand? Hitler. Noch haben sie ihren Hitler nicht gefunden. Aber wenn es soweit ist - dann sollte die restliche Welt auf der Hut sein."

Der Reporter legte den linken Zeigefinger auf die Oberlippe und hob den rechten Arm zum Nazigruß. Eine Gruppe von russischen Geschäftsleuten auf der anderen Seite der Bar johlte und applaudierte. Danach verging der Abend wie im Flug.

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Womit wir bei dem beliebten Vergleich zwischen Putin und Hitler wären ? 

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Aus dem Roman: 

"Sie gehen mir auf die Nerven", sagte der Russe. Offenbar fing er jetzt an, die Beherrschung zu verlieren. "Leute wie Sie. Was wollt ihr denn noch alles von uns? Ihr habt gewonnen, aber reicht euch das? Nein, ihr müßt es uns auch noch ständig unter die Nase reiben - Stalin, Lenin, Berija: Ich kann diese verdammten Namen nicht mehr hören - und zwingt uns, alle unsere schmutzigen Kleiderschränke zu öffnen und uns in Schulgefühlen zu suhlen, nur damit ihr euch überlegen vorkommen könnt ..."

 Ende

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