Samstag, 17. Dezember 2011

Realschule > Gemeinschaftsschule , Mittelschule, Oberschule.


Dieser Text ist die gekürzte (und leicht veränderte) Version eines Textes von Joachim Lohmann. Den ganzen Text können Sie auf der Seite des Forum Kritische Pädagogik nachlesen oder downloaden. 
Dr. Joachim Lohmann ist ehem. Vorsitzender der GGG, Kieler Stadtschulrat a.D., MdL-SPD Kiel a.D., Staatssekretär a.D.
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Zu den 11 Ländern ganz ohne Hauptschule kommen weitere 4 Länder hinzu, in denen sie als Pflichtangebot für die Kommunen entfällt. Die Kommunen können stattdessen attraktivere Schulformen errichten. Das Schicksal der Hauptschule ist damit besiegelt. Die traditionelle Dreigliedrigkeit wird damit aufgehoben, es kommt zu neuen Schulstrukturen.
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Die Landesregierung von Baden-Württemberg (wie auch die von Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen) ermöglicht den Schulträgern jetzt - nach dem Regierungswechsel -, ab 2012 keine Haupt- und Realschulen mehr vorzuhalten, sondern sie in Schulen mit mehreren Bildungsgängen umzuwandeln.
Doch Zweigliedrigkeit ist nicht gleich Zweigliedrigkeit,

die Unterschiede sind gravierend. Es bestehen zwei Hauptformen, zusätzlich existieren noch Varianten.
  1. Es gibt das zweigliedrige Vertikalsystem anstelle der bisherigen Dreigliedrigkeit. Neben dem Gymnasium gibt es statt der Haupt- und Realschule eine Mittelschule mit Bildungsgängen zum Haupt- bzw. Realschulabschluss, aber nicht zur Hochschulreife. Die Mittelschule besitzt weder eine eigene gymnasiale Oberstufe noch kooperiert sie vertraglich mit einer gymnasiale Oberstufe, in die sie geeignete Schüler/innen versetzt. Diese Zweigliedrigkeit wird im Folgenden zweigliedrige Mittelschullösung genannt. In allen betreffenden Ländern bestehen in Konkurrenz zu der vertikalen Zweigliedrigkeit Gesamtschulen als ein integratives Schulangebot.
  2. Bei der anderen Form der Zweigliedrigkeit gibt es kein Nebeneinander von Schulformen mehr, die sich in den Bildungsgängen, deren Abschlüssen und Berechtigungen unterscheiden. Statt der vertikalen Diskriminierung von Schulformen gibt es eine Parallelstruktur, in der beide Schulformen (Gymnasium und Oberschule) den gymnasialen Bildungsgang beinhalten und zu gleichen Abschlüssen und Berechtigungen führen. Dieses zweigliedrige Parallelsystem wird im Folgenden als zweigliedrige Oberschullösung bezeichne.
    Zweigliedrige Oberschullösungen in Deutschland

    Namensgebung für Oberschule
    weitere
    allg. Schulformen
    Baden-Württemberg
    Gemeinschaftsschule
    Hauptschule,
    Realschule,
    Gymnasium
    Berlin
    Integrierte Sekundarschule (ISS)
    Gemeinschaftsschule,
    Gymnasium
    Bremen
    Oberschule
    Gymnasium
    Hamburg
    Stadtteilschule
    Gymnasium
    Nordrhein-Westfalen
    Sekundarschule
    Hauptschule,
    Realschule,
    Gymnasium,
    Gesamtschule
    Rheinland- Pfalz
    Realschule plus,
    führt normaler Weise nur zur Fachhochschulreife
    Gymnasium,
    Gesamtschule,
    auch Hauptschule
    und Realschule
    Saarland
    Gemeinschaftsschule
    Gymnasium
    Schleswig- Hol-stein
    Gemeinschaftsschule
    Gymnasium
    sowie Regionalschule,
    die nur
    zu mittleren Abschlüssen führt

    Die zweigliedrige Mittelschullösung ist gesellschaftlich nicht leicht durchzusetzen, denn die vertikale Zweigliedrigkeit bedeutet für die Realschule keine Aufwertung. Vielmehr sehen ihre Anhänger bei der Zusammenführung mit der Hauptschule eine Abwertung der Realschule.


    Nur die Oberschullösung bringt nach vorn

    In Baden-Württemberg
    geht die grün-rote Regierung in dieser Legislaturperiode sehr behutsam vor. Sie will einzig die Oberschulen gesetzlich verankern und auf Antrag der Schulträger errichten. Doch wegen der breiten Rebellion der Hauptschulleiter von 2007 dürfte ein Reformdruck bei der Basis entstehen. Schrittweise dürfte es zu einer zweigliedrigen Oberschullösung kommen.

    Weder bei dieser grün-roten noch erst recht nicht bei anderen Regierungskonstellationen ist zu erwarten, dass Baden-Württemberg Schrittmacher für weiterreichende Strategien wird.
     

    So wird es im optimalen Falle auch in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen zur zweigliedrigen Oberschul-Lösung kommen.

    Die gemeinsame Schule für alle hat in den meisten Ländern schon jetzt keine Chance mehr, wenn nicht auch die Zweigliedrigkeit überwunden wird.

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    Mit großer Wahrscheinlichkeit tragen viele Oberschulen den Reformgeist der Gesamtschulen weiter. Eine Oberschule in Konkurrenz mit dem Gymnasium wird die Ungerechtigkeit eher deutlicher empfinden als eine Gesamtschule in Auseinandersetzung mit drei vertikalen Schulformen.

    Die Oberschulen werden die Konkurrenz bestehen

    Manche Anhänger der gemeinsamen Schule für alle befürchten, dass die Oberschule der Konkurrenz des Gymnasiums nicht standhalten kann. Doch diese Furcht scheint eher unberechtigt.

    Die beiden Schulformen basieren auf unterschiedlichen Wertvorstellungen. Das Gymnasium als die letztverbliebene Schulform der Vertikalität steht für pädagogische Skepsis und gesellschaftliche Ausgrenzung: Jugendliche dürfen wegen Leistungsschwächen negativ bewertet, von höheren Abschlüssen ausgeschlossen werden und schulisch scheitern. Dagegen verleiht ein erfolgreicher Gymnasialbesuch einen höheren Bildungs- und gesellschaftlichen Status und trägt damit zur gesellschaftlichen Ungleichheit bei.

    Bei den Oberschulen wird es sicher viel Frust über die Schwere der Aufgabe geben. Dennoch - wie bei den Gesamtschulen - wird immer wieder auch bei den Oberschulen Genugtuung und Freude bei Lehrkräften, Eltern und Jugendliche entstehen,
     
    • dass Schülerinnen und Schülern qualifizierte Abschlüsse erreicht haben,
    • dass sie begabt und befähigt wurden,
    • dass Benachteiligte gefördert werden konnten und
    • dass sozial gelernt wurde.

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    Die Überlegenheit der integrativen Systeme zeigt sich auch in der Praxis.
    • PISA 2009 hat für die OECD-Staaten die Überlegenheit des Integrationssystems nachgewiesen: Je später ein Schulsystem die Schülerschaft in ungleiche Schulformen aufteilt und je weniger Schulformen parallel existieren, desto besser für alle. Dann wird nicht nur sozial und ethnisch deutlich besser gefördert, sondern es werden zugleich bessere durchschnittliche Leistungen erreicht, weniger Schüler/innen zählen zur Risikogruppe und mehr Jugendliche gehören zur Spitze.
    • Auch in Deutschland haben Integrationskonzepte ihre Leistungsfähigkeit in Konkurrenz zum vertikalen Schulaufbau gezeigt.
    • Nicht wenige Gesamtschulen haben die Möglichkeiten der Vielfalt als Chance genutzt und überzeugende Praxis gezeigt. Manche gehören zu den besten Schulen des Landes. Keine andere Schulform stellt so viel Preisträgerschulen wie die Gesamtschulen, dabei sind Gesamtschulen die bundesweit am geringsten verbreitete allgemeine Schulform.
    • Was die integrativen Systeme im Ausland und die Gesamtschulen im Inland geleistet haben, das sollte auch den Oberschulen möglich sein.
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    Die ersten Erfahrungen mit der Oberschule ermutigen, zum Beispiel in Berlin:  Umfasste die Hauptschule bisher fast ausschließlichen Hauptschulempfohlene, so kommt es in der Berliner Oberschule zu einer erfreulichen Mischung. Dies gelingt, obwohl fast die Hälfte der 42 neu gebildeten Oberschulen nur aus Hauptschulen entstanden ist, etwas mehr als die Hälfte durch Integration von Haupt- und Realschule bzw. durch Umwandlung von Realschulen. Jetzt haben 27 dieser 42 Oberschulen mehrheitlich mindestens Realschul-Empfohlene, bei 15 sind es noch mehrheitlich, aber nicht mehr fast ausschließlich Hauptschul-Empfohlene. Dabei hatte der Senat die Anmeldung sowohl zu den Oberschulen als auch zu den Gymnasien freigegeben. Mit der Einführung der Oberschule brach auch der Trend zu stetig steigenden Übergängen auf das Gymnasium ab. _______________________________________ 
     
    Wie groß die Chance der Oberschulen ist, zeigt Bremen. Hier entstanden die Oberschulen aus der Umwandlung von Schulzentren unter Einbezug ihrer gymnasialen Zweige. Den Oberschulen ist es gelungen, nicht nur potentielle Haupt- und Realschüler der Schulzentren weiter an sich zu binden, sondern auch potentielle Schüler/innen des Gymnasialzweiges.

    Die Oberschule kann also Gymnasialanhänger für sich gewinnen. Die Bremer Oberschulen erreichten eine Übergangsquote von 80 %. Dieser kaum für möglich gehaltene Erfolg ist auch dem Bremer Schulfrieden zu verdanken, der eine Verunsicherung der Eltern durch eine politische Konfrontation vermied.


    Wenn die Oberschule in Bremen sogar Gymnasialanhänger gewinnen kann, umso mehr muss es ihr in allen Bundesländern möglich sein, mindestens das bisherige Haupt- und Realschul-Klientel dauerhaft an sich zu binden, da sie ihnen ja bessere Förderung und mehr Aufstiegschancen anbietet. Bei der Oberschullösung kann eine überzeugende Politik der Oberschule das Schicksal der Restschule verhindern. Dies verlangt eine Kompensation der Oberschule dafür, dass sie vor allem die soziale, ethnische und sonderpädagogische Integration von Jugendlichen zu leisten hat.


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