Der programmierte Unterricht
"Der Programmierte Unterricht ist eine didaktisch-methodische Möglichkeit des Lehrers, den Unterricht zu gestalten. Man kann ihn unter „Eigenlernen des Schülers“ einordnen."
[wikipedia]
Vielleicht erinnern sich ältere Lehrkräfte noch an die etwas kompliziert aufgebauten Bücher zum Programmierten Lernen. Selbst im Religionsunterricht wurden sie verwendet. Es gab in den Büchern einen Informationsteil, heute würde man "Input" sagen, und nach jedem Input kamen Fragen und Aufgaben zum Verständnis. Konnte man sie beantworten, dann hieß es "Blättere vor auf Seite XY!", konnte man sie nicht beantworten so hieß es "Blättere zurück zu Seite so-und-so!". - Selbst für den Religions-Unterricht gab es in der zweiten Hälfte der 1970er Jahr Bücher zum eigenständigen und individualisierten "Programmierten Lernen". - Diese Bücher sind nach einigen Jahren im Altpapier gelandet und sind heute ein Kapitel aus der Geschichte der Methodik und Didaktik. Am Rande:
Die Rolle der Lehrkraft
war die eines Beratenden, heute würde man sagen einer "LernbegleiterIn" oder "LernunterstützerIn" oder "Lernpartner". Eigentlich musste die Lehrkraft nicht unbedingt auch Pädagogin sein, eine fach-wissenschaftliche Bachelor-Ausbildung hätte vielleicht ausgereicht. - Allerdings gab es damals noch keinen Bachelor, zumindest nicht in Deutschland.
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Die moderne Version des programmierten Unterrichts
ist das E-Learning oder auch gerne "Lernen 2.0" genannt. Statt mit Hilfe eines Buches lernen die Lernenden hier am Computer oder im Internet.
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Von Lernpaketen und Checklisten
Eine Zwischenstufe zwischen dem Programmierten Lernen der 1970er Jahre und dem E-Learning des 21. Jahrhunderts ist das Lernen mit Kompetenzrastern, Lernpakten und Checklisten, wie es besonders in der Schweiz gepflegt wird, z.B. im Alpen-Internat bzw. im Institut Beatenberg und in den Lernhäusern, aber zunehmend auch im Süden Deutschlands. -
Das Ziel ist stets das Gleiche:
- Die Lernenden sollen lernen, eigenständig zu lernen
- und können im eigenen Tempo
- und auf dem eigenen Leistungsniveau fortschreiten.
- Die LehrerInnen werden zu LernbegleiterInnen oder - vielleicht etwas zu euphemistisch? - LernpartnerInnen.
- In den Schulen wird nicht mehr gelehrt, sondern gelernt.
So macht es auch nichts, wenn Klassen sehr heterogen zusammengesetzt, wenn so genannte "HauptschülerInnen" mit so genannten "GymnasiastInnen" zusammen in einer Schule oder einer Klasse oder einer "Lerngruppe" sitzen. Denn: Sie schreiten ja nicht im gleichen Takt und im gleichen Tempo voran, sondern jeder mit seiner Geschwindigkeit, unterstützt von Lehrpersonen, die jetzt nicht mehr frontal vor der Klasse stehen müssen und "lehren", sondern frei werden, um die Lernenden zu begleiten und unterstützen. -
Im Idealfall
- bei "kompetentem Umgang" mit dieser Heterogenität - in der behinderte Kinder, sog. "SonderschülerInnen" (s. Stichwort "Inklusion") ggf. mit sog. "Gymnasiastinnen" in einer Lerngruppe sitzen, profitieren die schwachen von den starken und die starken von den schwachen Lernenden, indem sie sich gegenseitig unterstützen. -
So werden aus LehrerInnen und SchülerInnen, guten und schlechten SchülerInnen gemeinsame LernpartnerInnen. -
So weit die Theorie.
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Anmerkungen zur Theorie
- Die Theorie funktioniert nur dann, wenn die Lehrkräfte einer Schule an einem Strang ziehen
- und wenn die Lehrkräfte gelernt haben, mit dieser Heterogenität kompetent umzugehen. (Manche private Schulen, wie z.B. die oben genannten in der Schweiz, versprechen, dass man das bei Ihnen lernen kann - wenn man genügend Geld mitbringt).
- In Klassen, in denen individualisiert unterrichtet wurde, ist der Lernerfolg nicht unbedingt höher gewesen als im "normalen" Unterricht mit gemischten Unterrichtsformen - eher geringer. Man muss also einen oder mehrere andere Gründe nennen können, warum man es tut.
- Wenn es einem nicht gleichgültig ist, dass aus individualisiertem Lernen letztendlich der pure Individualismus heraus kommt,
- und wenn man die Schulen nicht gleich ganz schließen will und den SchülerInnen rät, Fern-Kurse in "Fern-Schulen" zu belegen mit gelegentlichen Treffen und Prüfungen zwischendurch (so wie das ja beim Fern-Studium für Erwachsene schon lange angeboten wird) -
- dann muss das individualisierte Lernen in diesen Schulen ergänzt werden durch Formen des gemeinsamen Lernens, des kooperativen Lernens, des Projektlernens usw.
- Und was ist, wenn es in der Stadt keine Eltern gibt, die "heterogenen Umgang" für ihre Kinder anstreben? Die lieber möchten, dass ihre gut lernenden Kinder mit anderen gut lernenden Kinder gemeinsam in eine Klasse oder Schule gehen? (So wie das beim Volksbegehren in Hamburg der Fall war.)
- Und wie halten wir es in Deutschland, wo die Kinder aus gut-bürgerlichen akademischen Elternhäusern (im Durchschnitt) von vorne-herein bessere Noten nach Hause bringen als Arbeiter-Kinder und Migrantenkinder, wie alle Studien der letzten 10 Jahre gezeigt haben, und wo zahlreiche Eltern möchten, dass ihre Kinder nicht mit den "Schmuddelkindern" in eine Klasse oder Schule gehen?
Zum Autor der beiden o.g. Bücher Herbert Gudjons
Kritik
- Alle hier genannten Ansätze (Lernstraße, Programmiertes Lernen, Lernpakete, das Lernen 2.0) haben gemeinsam, dass sie nur von der Methodik her den Namen "Individualisiertes Lernen" verdient haben.
Vom Inhalt her sind sie ebenso fremdgesteuert wie der Lehrkraft-zentrierte Frontalunterricht: Bei den modernen "Lernpaketen" für den individualisierten Unterricht (s.o.) werden oft einfach nur die Bildungspläne der drei Schularten umformuliert in Kompetenzen ("Ich kann...."); für diese Kompetenzen werden dann Lern-Pakete gepackt (das sind im Grunde genommen Aufgaben-Sammlungen auf unterschiedlichen Niveau-Stufen, z.B. Zusammenstellungen aus Mathematik-Büchern der verschiedenen Schularten), die die SchülerInnen dann eigenständig bzw. mit Hilfestellung der LernbegleiterInnen und LernunterstützerInnen bearbeiten sollen. -
- Sehr auf den Punkt gebracht kann man sagen:
Was die Lehrkraft zuvor versucht hat den SchülerInnen einzutrichtern, müssen sie sich nun selber eintrichtern: Der individualisierte Nürnberger Trichter. Allerdings, das ist ein Fortschritt, jeder auf seinem Niveau und in seiner Geschwindigkeit. - Und am Schluss kommen dann wieder Haupt- und RealschülerInnen und AbiturientInnen dabei heraus - auch wenn vermutlich der Hauptschulabschluss anders benannt werden wird.
- Echtes Individualisiertes Lernen bedeutet viel mehr:
"Alle Schulen dienen zuerst und vor allem der individuellen Erziehung und Bildung, Unterrichtung und Qualifizierung aller schul- und ausbildungspflichtigen Kinder und Jugendlichen, orientiert an ihrem optimal erreichbaren Niveau. - Dabei liegt der Schwerpunkt gewiss nicht auf den aktuell zu erbringenden Leistungen in den einzelnen Fächern, sondern darauf, dass junge Leute Leistungsbereitschaft, Arbeitshaltungen und Durchhaltevermögen entwickeln, dass sie Anstrengungen nicht meiden und ein realistisches Selbstbild von ihrer Leistungsfähigkeit gewinnen.
Schulen finden ja nicht nur zu schulischen Zwecken statt, sondern sie sollen vor allem Schulen der werdenden Persönlichkeit sein; denn auf dem Weg vom Kind zum Erwachsenen muss bei der Bewältigung elementarer Entwicklungsaufgaben geholfen werden.
Solche Aufgaben sind: neue soziale Beziehungen jenseits der Familie – Freundschaften und Partnerschaften – auf- und umbauen, Umgang mit Sexualität lernen, mit den Anforderungen der Schule als Arbeitsplatz umgehen lernen, Ausbildungs- und Berufswahl klären, sich eines eigenen Lebensentwurfs zu vergewissern und anderes mehr. Schule also der werdenden Persönlichkeit, die für ihr Gedeihen auf Erfolg und Unterstützung angewiesen ist. [...]
Da Schülerinnen und Schüler nicht allen Erwartungen der Schule gerecht werden können, muss der demokratische Grundsatz gelten: Gleichheit bedeutet, dass Ungleiches ungleich behandelt werden muss. Leicht und langsam lernende Schüler, vielseitig interessierte und noch sehr förderungsbedürftige müssen jeweils unterschiedliche Lern-, Arbeits-, Erfahrungs- und Bewährungsformen finden, die ihnen ihre jeweils optimalen Qualifikationen ermöglichen."
So Ulrich Herrmann, Jahrgang 1939, Pädagoge und Historiker, emeritierter Professor für Pädagogik und Honorarprofessor an der Universität Potsdam. Seine derzeitigen Schwerpunkte sind die Bildungspolitik, die Schulentwicklung und der Schulbau, die Jugendkulturen im 20. Jahrhundert sowie die Gehirnforschung und die Pädagogik. Er lebt und arbeitet in Tübingen. Den ganzen Aufsatz finden Sie hier.
Individualisiertes Lernen im nicht auf Methodik verkürzten Sinne
findet dann statt, wenn es nicht Haupt-Ziel der Schule ist, die Bildungsstandards auf dem optimal erreichbaren Niveau zu erreichen, sondern die eigene Persönlichkeit auf dem optimal erreichbaren Niveau zu entfalten - der zu werden, der man ist; ("Werde der du bist" formulierten es der Philosoph Nietzsche, der griechische Dichter Pindar und andere).
Dazu braucht es mehr als individuelles stilles Arbeiten an Lernpakten im Lern-Atelier (so schön das Atelier auch sein mag) - es braucht unterschiedliche Lern-, Arbeits-, Erfahrungs- und Bewährungsformen. Und sicher auch die Persönlichkeit einer Lehrkraft, die Vorbild sein kann, für ihr Fach begeistern kann, Lern-Beziehungen zu den Lernenden eingehen kann.
Benjamin Bloom hat Hochleister aus unterschiedlichen Bereichen untersucht, um herauszufinden, ob sie etwas gemeinsam haben, das zu ihren hohen Leistungen geführt hat. - Man hat im Grunde nichts gefunden, mit einer Ausnahme:
Dass alle frühzeitig eine Person gefunden haben, die sich für sie selbst sehr engagierte, für ihren Lernfortschritt, für ihr Weiterkommen._________________________________
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