Freitag, 13. Januar 2012

Nach Amoklauf: Kompetenzzentrum für Schulpsychologie in Tübingen eröffnet

Am 12. Januar 2012 wurde in Tübingen ein Kompetenzzentrum für Schulpsychologie eröffnet, eine einmalige Einrichtung in Deutschland. Studierende können dort den Bachelor- und Master-Grad erwerben.

Im europäischen Vergleich schneidet die Schulpsychologie in Deutschland, bezogen auf das Zahlenverhältnis von SchulpsychologInnen und SchülerInnen, miserabel ab: Als Mindeststandard nennen Fachleute ein Verhältnis von 1 : 5000, in Deutschland liegt es bei 1 : 16 500. - 
Wie in den internationalen PISA-Studien, (in denen es um Fertigkeiten von SchülerInnen im Lesen, in Mathematik und in den Naturwissenschaften geht), so ist Deutschland auch im Bereich der Betreuung der Schulen durch SchulpsychologInnen leider nicht "Spitze".


Als Mitte der 1960er Jahre 
die schulpsychologische Beratungsstelle in Tübingen eröffnet wurde, damals hieß sie noch "Bildungsberatungsstelle", ging man davon aus, dass ein Verhältnis von 1:2000, ein Schulpsychologe für tausend SchülerInnen, optimal wäre. Lange Zeit waren es dann aber anfangs 40.000 SchülerInnen pro PsychologIn. 

Erst in den letzten Jahren 
wurde die Zahl der SchulpsychologInnen in den schulpsychologischen Beratungsstellen in BW stark erhöht, verdoppelt, so dass z.B. im Bereich Tübingen das Verhältnis nun bei 1:8000 liegt - immer noch recht weit entfernt von 1:2000. - Anlass für die Erhöhung war der Amoklauf des 17-jährigen Schülers Tim K. im März 2009 in seiner ehemaligen Realschule in Winnenden/BW mit 15 Toten. (Auch der Landesbildungsserver hat danach zahlreiche Materialien zur Gewaltprävention auf seine Webseite gestellt).

In den 1960er Jahren sprach man in Deutschland von der Bildungskatastrophe , und die Aufgabe der "Bildungsberatungsstellen" war damals, die Begabungspotenzials in der deutschen Bevölkerung auszuschöpfen. 

Heute gibt es andere Themen:
Die Anforderungen an Schulpsychologen seien in den vergangen Jahren massiv gestiegen, sagte Wolfgang Ehinger, Vorsitzender des Schulpsychologenverbands.

  • «Vielleicht gibt es seit Winnenden eine gesteigerte Sensibilität für die Nöte von Jugendlichen.» 
  • Aber auch die steigende Arbeitsbelastung der Lehrer werde für Schulpsychologen zunehmend ein Thema.





Samstag, 7. Januar 2012

Aufstieg durch Bildung? Der Kampf um die Bildungsabschlüsse

Wenn ich in der Gesellschaft "etwas werden will" oder möchte, dass aus meinem Sohn oder meiner Tochter "etwas wird", dann muss ich für mich oder meine Kinder

Freitag, 6. Januar 2012

Von Schichten, Geschichte und dem Schulsystem. Teil II: Chancengleichheit?

(Link zu Teil I)

JA, man kann in Deutschland auch dann etwas werden, wenn man im 3-gliedrigen Schulsystem auf der Hauptschule war oder ist:
Das gilt besonders für Baden-Württemberg, das laut PISA-Studie von allen Bundesländern besonders viele Möglichkeiten zu Quer-Einstiegen bietet.
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Über SEINE Kindheit  war ursprünglich wenig bekannt. Hervorgehoben wurden vornehmlich seine sportlichen Leistungen als Mittelstürmer (Spitzname „Acker“) im TuS Talle. Seit 2004 ließ er die Öffentlichkeit mehr und mehr über seine Jugend erfahren und erklärte, zu den Ärmsten der Armen gezählt zu haben. Die Schröders waren auf Fürsorge angewiesen und lebten am Rande der Gesellschaft. Über seine Familie sagte der spätere Bundeskanzler Schröder unverblümt: „Wir waren die Asozialen.“

Gerhard Schröder wurde als zweites Kind der Eheleute Schröder in Ost-Westfalen geboren. Seine Mutter war dorthin geflohen, um den alliierten Bomben zu entkommen. Der Vater, der sich als reisender Hilfsarbeiter auf Jahrmärkten durchgeschlagen hatte, befand sich als Obergefreiter an der Ostfront und wurde bei Rückzugsgefechten tödlich getroffen. Seinen Sohn bekam er nie zu Gesicht. In den Jahren von 1951 bis 1958 besuchte Schröder die Volksschule. Danach absolvierte er in einem Porzellangeschäft in Lemgo bis 1961 eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann. Von 1964 bis 1966 besuchte er zur Erlangung der Hochschulreife auf dem Zweiten Bildungsweg zunächst das Siegerland-Kolleg und ab 1965 das Westfalen-Kolleg in Bielefeld, an dem er 1966 die Abiturprüfung bestand. Noch im selben Jahr begann Schröder an der Göttinger Georg-August-Universität ein Studium der Rechtswissenschaften…
 Quelle: wikipedia
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Chancengleichheit, das war 
das große politische Ziel der Bundesrepublik in den 1970er Jahren. Die Gesellschaft war sich einig: Kinder aus allen Schichten sollten Abitur machen, studieren, die Chefsessel von Staat und Wirtschaft erobern können. - 
Damals war Klaus von Dohnanyi Bildungsminister im Kabinett von Willy Brandt. -

"Was die Chancengleichheit angeht, haben wir viel zu wenig erreicht, viel zu wenig", sagt Dohnanyi heute. "Wenn wir ehrlich sind, müssen wir feststellen: Wir haben drei Jahrzehnte ungenutzt verstreichen lassen."

Unzählige Studien stützen Dohnanyis niederschmetterndes Fazit.
- In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Anteil der Studenten höchster sozialer Herkunft verdoppelt, während bei den niedrigen Herkunftsgruppen dramatische Einbrüche zu verzeichnen sind.
"Früher haben wir wirklich geglaubt, dass man durch Bildung aufsteigen kann. Inzwischen wissen wir: In Deutschland ist das eine Illusion", sagt Harry Friebel, Soziologie-Professor aus Hamburg.  "Nach wie vor ist die soziale Schicht, aus der jemand kommt, entscheidend für den gesamten Lebensweg." 

Sein Kollege, Professor Michael Hartmann aus Darmstadt, untersucht den familiären Hintergrund des deutschen Topmanagements. Er hat herausgefunden: 
"Was den Zugang zu den hohen Führungspositionen angeht, hat die Bedeutung der sozialen Herkunft in den vergangenen Jahrzehnten nicht abgenommen. Im Gegenteil, sie nimmt sogar noch zu. Zum Manager wird man sozusagen geboren. Heute gilt das noch mehr als vor zwei oder drei Jahrzehnten."

Der Fahrstuhl in die oberen Etagen ist für alle Kinder der unteren und mittleren Schichten die Bildung. Der Mannheimer Soziologie-Professor Walter Müller vergleicht unterschiedliche Bildungssysteme auf der Welt und muss feststellen: 

"Kein anderes Bildungssystem benachteiligt die Benachteiligten und bevorzugt die Bevorzugten so stark wie das deutsche." 
Die Pisa-Studie hat gezeigt: Nirgendwo haben die Kinder aus sozial schwachen Schichten so viel schlechtere Bildungschancen als Gleichaltrige aus besseren Kreisen - selbst in Ländern wie Argentinien nicht, in denen die Gegensätze zwischen Arm und Reich unüberwindlich scheinen.

Wer bei den Eltern Pech hat, den bestraft die Schule zusätzlich. 

"Es gab in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Studien mit unterschiedlichen Methoden. Doch die Tendenz ist immer gleich: Deutschland ist internationaler Spitzenreiter bei der Ungleichheit", sagt Müller. In Zahlen ausgedrückt: 
  • Von 100 Kindern aus der Oberschicht gehen 84 aufs Gymnasium und danach 72 zur Universität. 
  • Aus den unteren Schichten werden nur ganze 33 auf die höhere Schule geschickt. 
  • An eine Universität schaffen es noch acht.

Und der Abstand vergrößert sich.

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  • Ist ein 2-gliedriges Schulsystem die Antwort auf diese Ungerechtigkeiten, so wie es die neue grün-rote Landesregierung nun auch in BW auf Antrag der Kommunen zulassen will? 
  • Oder ist das nur die zweitbeste Lösung und ein 1-gliedriges System mit gemeinsamem Lernen bis einschließlich Klasse 10 als Pflicht für alle ist der richtige Weg - oder lernen in einer Gemeinschaftsschule "alle gemeinsam weniger"? 
  • Und ist das überhaupt eine Frage des Schul-Systems?
  •  Wer hat überhaupt Interesse daran, etwas zu ändern und warum?
  • Und wer hat kein Interesse daran und warum nicht? - 

Antworten finden Sie, vielleicht, in diesem Blog.


"In der Gemeinschaftsschule lernen alle gemeinsam weniger!"

... So der aktuelle Kommentar eines Lehrers zur Schulreform in Baden-Württemberg.

Dazu ein empirisches Ergebnis aus unserem Ländle. (Das Wort "Gesamtschule" ist zwar in Baden-Württemberg traditionell ziemlich tabu. Da es aber bei uns noch keine Gemeinschaftsschulen gibt, ziehe ich die Integrierten Gesamtschule Mannheim-Herzogenried als Beispiel heran, da es dort seit einigen Jahren gemeinsames Lernen bis Klasse 7 gibt:

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Siehe dazu auch: 

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Die Integrierte Gesamtschule in Mannheim litt bis in die 1990er Jahre unter dem (schlechten) Ruf einer „Schule im sozialen Brennpunkt“. Fast 70 % der Schüler/innen gehörten der sog. sozialen Unterschicht an. Eltern aus dem Bildungsbürgertum schickten ihre Kinder nur im Notfall dorthin, d.h. wenn sie keine Grundschulempfehlung für das Gymnasium hatten. Sobald sie in Klasse 7 die Empfehlung für das Gymnasium geschafft hatten, wurden die Kinder abgemeldet und in das nächste Gymnasium geschickt. -

Integrierter Unterricht aber mit nur etwa 10 % Schüler/innen mit Grundschul-Empfehlung Gymnasium ist schwer. Der Anteil der Schüler/innen mit einer Hauptschulempfehlung lag bei der Anmeldung in der Regel weit über 50 Prozent. Der sehr gute Leistungsbereich (Noten 1,0-1,3) fehlte bei den aufgenommenen Schüler/innen vollständig, vorherrschend war mit über 50 Prozent der Bereich zwischen den Noten 3 und 4.

Trotz der ungünstigen Verhältnisse schaffte es die Schule aber schon 1986, einem Großteil ihrer Schüler/innen zu besseren Abschlüssen zu verhelfen als die Empfehlung der Grundschule es prognostiziert hatte. Verstärkt durch den G8-Effekt (die Schule hatte als einzige Schule in BW noch G9!), nähert sich allmählich der Anteil der Grundschul-Empfehlungen für die drei Schularten dem Verhältnis 1:1:1. (Der Anteil für das Gymnasium lag 2011 bei etwa 25 Prozent.) Das verbessert die Lehr- und Lernbedingungen an der Schule insgesamt spürbar.


Statistisch gesehen hatten in den Schuljahren 2002/03 bis 2007/08 über die Hälfte AbiturientInnen an der Gesamtschule Mannheim keine Grundschul-Empfehlung für das Gymnasium:

  • 12 Prozent der AbiturientInnen (des in BW zentralen Abiturs) hatten eine Empfehlung für die Hauptschule und
  • 43 Prozent der AbiturientInnen für die Realschule.
  • Und bei den Schüler/innen, die am Ende den Realschul-Abschluss machten, hatten 53 Prozent eine Hauptschul-Empfehlung.

Schon in Klasse 8 zeigt sich die positive Wirkung des gemeinsamen Lernens in den drei Eingangsjahren Klasse 5-7:

  • Jede/r zweite Schüler/in in den Gymnasialklassen der Stufe 8 hatte keine Gymnasialempfehlung.
  • Ähnlich in den Realschulklassen: Etwa 45 Prozent der Schüler/innen hatte eine Grundschul-Empfehlung für die Hauptschule.

Dass der Weg der Schüler/innen in der Integrierten Gesamtschule Mannheim-Herzogenried insgesamt deutlich nach oben weist, zeigt auch die Statistik der Auf- und Absteiger:

  • 37 % der Schüler/innen verbessern sich gegenüber der Grundschul-Empfehlung, 
  • nur 8 % verschlechtern sich, 
  • etwa 50 % machen Abschlüsse der Grundschul-Empfehlung entsprechend. 

In der 3-gliedrigen Regelschule in BW steigen für jeden Schüler/innen, der aufsteigt, fast vier ab. Die viel gepriesene Durchlässigkeit funktioniert dort also nur nach unten gut.


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So weit der empirische Befund aus Baden-Württemberg. 
Was sagt uns der? 
Für Kinder mit einer Grundschul-Empfehlung für die Hauptschule oder für die Realschule war es empfehlenswert, dieser nicht zu folgen, sondern in Klasse 5 auf diese Gesamtschule zu gehen, um dort in den Klassen 5-7 gemeinsam zu lernen: Denn in über 50% der Fälle machten diese Kinder auf der Gesamtschule das baden-württembergische Zentral-Abitur. (Kinder, die eine Grundschul-Empfehlung für das Gymnasium hatten, haben sich dadurch offenbar nicht verschlechtert. Die Zahlen liegen mir aber nicht vor.) 


Trotzdem bleiben die Fragen: 
  • Warum will eine Mehrheit der Eltern (zumindest in Hamburg) ihre Kinder nicht gemeinsam mit Kindern der Haupt- und Realschulen lernen lassen?
  • Warum soll ich mein Kind mit der Grundschul-Empfehlung "Gymnasium"  auf eine Gemeinschafts-Schule schicken?
  • Warum sollte ich als Oberstudienrätin mit Akademiker-Kindern mich für ein ein-gliedriges Schulsystem engagieren, also z.B. gemeinsames Lernen bis Klasse 10 in einer Gemeinschaftsschule (oder auch im Gymnasium)?

Klassen-Kampf? -  "Seit Jahren zeichnen Politik und Medien das Bild einer Unterschicht mit asozialen Ansichten und Verhaltensweisen, der nur durch Zwang und Bevormundung beizukommen ist" (ZEIT-online), durch scheinbar objektive Grundschul-Empfehlungen und eine Aufteilung der SchülerInnen nach Klasse 4 in drei "Klassen".

Donnerstag, 5. Januar 2012

Von Schichten, Geschichte und dem Schulsystem. Teil I: Angst der Mittelschicht


Einen Fortschritt bei uns in Baden-Württemberg


gibt es unter der neuen grün-roten Landesregierung im Schulsystem: Nun können die Gemeinden auf Antrag auch ein 2-gliedriges (statt bisher nur 3-gliedriges) Schulsystem einrichten, das heißt: NEBEN dem Gymnasium - an dem nicht gerüttelt wird - kann auch eine Gemeinschaftsschule eingerichtet werden, die von so genannten Haupt- und RealschülerInnen und sog. GymnasiastInnen gemeinsam besucht wird; (gemeint sind SchülerInnen, die am Ende der Klasse 4 von der Grundschule eine Grundschul-Empfehlung für die Hauptschule oder die Realschule oder das Gymnasium erhalten haben. - Übrigens: Andreas Schleicher, der Koordinator der internationalen PISA-Schulstudien für Deutschland, bekam von der Grundschule nach der 4. Klasse bescheinigt, dass er „ungeeignet fürs Gymnasium“ sei. - Sein Abitur machte er dann später mit 1,0. Anschließend studierte in Deutschland Physik und in Australien Mathematik, spezialisierte sich auf Statistik. …

Begabte SchülerInnen können an dieser Gemeinschaftsschule ggf. auch das Abitur machen, das allerdings dann nach 9 Jahren (“G9“) statt nach 8 Jahren wie am Gymnasium (“G8“). Das muss nicht schlecht sein: Es ist auf jeden Fall ein Fortschritt gegenüber dem rein 3-gliedrigen System.
(Sie kennen vielleicht den alten Witz: „In 17 Ländern auf der Erde gibt es das 3-gliedrige Schulsystem, davon liegen 16 in Deutschland“.) – 
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Bestehen bleibt aber bei uns in BW die Auftrennung der SchülerInnen nach der 4. Klasse in drei bzw. zwei Schularten, die weltweit ziemlich einmalig ist und verbunden mit einer Trennung nach "Klassen", nach sozialen Schichten.

 

Wie kommt das? – Dafür ein Beispiel:

Deutlicher als von Beobachtern erwartet, hatten sich die Bürger im Stadt-Staat Hamburg im Sommer 2010
beim ersten verbindlichen Volksentscheid der Hansestadt gegen die sechsjährige Grundschule ausgesprochen: Eine große Mehrheit der Bürger folgte dem Vorschlag der Reform-Gegner, die die vierjährigen Grundschulen beibehalten wollen. Hierfür stimmten 276.304 Bürger, nur 218.065 sprachen sich für sechsjährige Primarschulen aus. Die Wahlbeteiligung  lag bei 39 Prozent.

Wenn Historiker eines Tages unsere Zeit untersuchen werden, wird das Ergebnis eine wertvolle Quelle sein. Das Votum bedeutet nicht nur das vorläufige Aus für das längere gemeinsame Lernen. Die Reformgegener, so schrieb ZEIT-Online zu Recht, zehrten von der latenten Furcht vor lernschwachen, gewaltbereiten Kindern aus sozial schwachen Elternhäusern.

»Sie schürten die Angst, der Mittelschicht könne ein Refugium zivilisierter Erziehung verloren gehen. Das begann schon beim Duktus der Kampagne. "Wir wollen lernen" lautete der Schlachtruf der Reformgegner. Als wollten das andere Kinder nicht genauso.

Diese Angstmacherei hat wohl verfangen. Überraschend ist das nicht. Seit Jahren zeichnen Politik und Medien das Bild einer Unterschicht mit asozialen Ansichten und Verhaltensweisen, der nur durch Zwang und Bevormundung beizukommen ist. Die darüber Beheimateten verlieren an Selbstgewissheit: Der Jobverlust ist heute nicht mehr nur eine temporäre Unannehmlichkeit, sondern ein Weg zu Hartz IV. … Wir sind auf dem Weg zurück in Zeiten, in denen nicht Leistung galt, sondern Herkunft. Wer das nicht glaubt, soll junge Migranten auf ihre Erfahrungen mit Bewerbungen ansprechen. Soll junge, gebildete Großstadtbewohner fragen, ob sie ihr Kind in den geliebten Stadtteilen Berlin-Neukölln oder Hamburg-St.Pauli zur Schule schicken werden.


Das ist nicht nur ein volkswirtschaftliches Problem, weil vielen klugen Menschen qua Geburt der Aufstieg verwehrt bleibt. Sondern auch ein politisches. Denn wie können wir Loyalität zu Demokratie, Grundgesetz und Marktwirtschaft erwarten, wenn die Gesellschaft ihr Versprechen nicht einhält, sie böte jedem eine Chance? «
Die Angst
 der Mittelschicht, ihnen könne mit dem längeren gemeinsamen Lernen über Klasse 4 hinaus  - (sei es durch eine verlängerte Grundschulzeit oder gar durch eine flächendeckende Abschaffung des Gymnasiums) - "ein Refugium zivilisierter Erziehung verloren gehen", herrscht nicht nur bei Eltern, sie wird auch von manchen GymnasiallehrerInnen und ihren Standesverbänden geteilt.
Ein Studienrat sagte mir jüngst: "Mir geht es um meine begabten, sensiblen Schüler. Ich habe selbst jetzt noch in Klasse 12 Schüler, die wie Neuntklässler ausschauen und sehr verletzlich sind. Diese finden bei uns am Gymnasium aber die Ruhe, um ohne Drangsalierungen von pubertären Alphatieren ihre Neigungen entfalten zu können. Aus ihnen werden Studenten der Physik usw." -

Das Bild/ der Wunsch: Im Gymnasium haben wir die sensiblen, lernwilligen, begabten Kinder, die später Physik studieren. In der Realschule (Hauptschule, Gesamtschule, Gemeinschaftsschule, Stadtteilschule....) befinden sich die pubertären Alphatiere: die Kinder der "Unterschicht mit asozialen Ansichten und Verhaltensweisen". Wenn wir denen die Türen öffnen, dann ist es mit dem Schonraum Gymnasium für unsere Kinder und für uns als GymnasiallehrerInnen vorbei. 

Ängste muss man Ernst nehmen,
  • auch wenn "das" Gymnasium schon lange kein Schonraum mehr ist, 
  • auch wenn das Bild, das von "den" SchülerInnen auf anderen Schularten phantasiert und gezeichnet wird, unterirdisch falsch ist,
  • auch wenn man den Standesdünkel der Standesverbände a-sozial findet und nicht gutheißen mag
  • auch wenn die meisten (?) Lehrkräfte an den Gymnasien wirklich keinen Standesdünkel mehr haben - man würde diesen mit der Unterstellung Unrecht tun - aber vielleicht einfach Angst davor, nicht genügend ausgebildet zu sein, um so genannte "RealschülerInnen" unterrichten zu können oder mit ihnen "fertig zu werden".

In der Therapie spricht man davon, dass man nicht GEGEN den Widerstand, sondern nur MIT dem Widerstand arbeiten kann. – In der Debatte um ein gutes und gerechtes Schulsystem gilt das Gleiche.- 

Fortsetzung folgt.