Dienstag, 19. November 2013

Bildungs-Aufbruch in BW: Wenn der Bus Verspätung hat, nützt es nichts, wenn ich in der ersten Reihe sitze.

Die Landesregierung sieht die Notwendigkeits eines Bildungs-Aubruchs so:

  • Wir vergleichen das deutsche Bildungssystem mit einem Reise-Bus.
  • Die Mitreisenden in diesem Bus sind die deutschen Bundesländer bzw. deren jeweiligen Bildungssysteme. In den nationalen Vergleichs-Tests der letzten Jahre saß Baden-Württemberg (BW) in diesem Bus stets in der ersten Reihe oder zumindest in einer der ersten Reihen, soll sagen, im Vergleich zu den anderen Bundesländern schnitt BW stets gut ab.  
  • Fazit: Kein Grund zur Beunruhigung?

Doch!  Wenn wir die Perspektive ändern.
  • Wenn ich von der nationalen auf die internationale Ebene zoome, dann sehe ich, dass der Reisebus sich in einer langen Schlange von Reisebussen befindet 
  • und zwar nicht vorne in der Schlange, wo wir ihn im Jahre 2000 vielleicht noch vermutet hätten, sondern irgendwo im Mittelfeld dieser Schlange, auf Platz 20 oder so: 
  • Was die Leistungen von 15-Jährigen und Erwachsenen in Mathematik, in der Lesefertigkeit und in Naturwissenschaften angeht, befindet sich Baden-Württemberg (in den PISA-Tests) international im Mittelfeld - da hilft es nicht, wenn wir in unserem eigenen Bus in der ersten Reihe sitze. 
  • Und die neueste Nachricht von 2012: Im Vergleich der deutschen Bundesländer befinden sich die NeuntklässlerInnen in Baden-Württembergs Gymnasien in Mathe auch nur noch im Mittelfeld.  - Überdurchschnittlich sind die Leistungen in Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt. (Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, Berlin, IQB.

Siehe auch:
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Quelle: IQB, Berlin
Die grün-rote Landesregierung sagt also:
 Ja, unser Land ist im nationalen Vergleich immer gut aufgestellt gewesen. Aber der internationale Vergleich rückt dieses Bild gerade.

An-Fragen:
  • Sind diese internationalen Vergleiche der OECD (Pisa u.a.) überhaupt geeignet, die Leistung von Bildungs-Systemen zu vergleichen?
  • Messen sie Leistung? Und das, was "den BürgerInnen" wichtig ist?
  • Wem genau sind diese Ergebnisse wichtig, welche Interessen stecken dahinter?
  • Fahren die o.g. PISA-Busse vielleicht allesamt in die falsche Richtung und wir sollten lieber abbiegen statt an diese Spitze zu drängen? Wer bestimmt die Richtung? "Das Volk" oder EU-Bürokraten? (siehe auch: Lissabon-Strategie zur "Wissensgesellschaft" März 2000)
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Die Landesregierung sagt darüber hinaus:

In BW gibt es (im nationalen und internationalen Vergleich) einen starken Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungs-Erfolg. Primäre Effekte (die Leistung eines Schülers oder einer Schülerin) spielen beim Schulerfolg eine zu geringe Rolle; sekundäre Effekte (soziale Herkunft, sozialer Status, Einkommen und Bildung des Elternhauses) spielen beim Bildungserfolg eine zu starke Rolle: "Wer hat, dem wird gegeben" (der sog. Matthäus-Effekt nach Mt. 25,29) .
Insbesondere dem sozialdemokratischen Koalitionspartner ist es wichtig,
diesen Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg zu entkoppeln 
und die Leistung stärker in den Vordergrund zu rücken. Chancen-Gleichheit könne nicht hergestellt werden - so die Lehre aus der Bildungreform der 70er Jahre - aber mehr Chancen-Gerechtigkeit.


Dem dienen verschiedene Maßnahmen, u.a. Früh-Förderung statt reiner Betreuung schon vor Schule und Kindergarten, Sprachförderung, Ausbau von Ganztagsschulen (mit einem Schwerpunkt in den Grundschulen), Individualisierung der Lehr-Angebote, Abschaffung der Grundschul-Empfehlungen (hier werde ein besonders starker sekundärer Effekt vermutet), statt dessen soll eine verstärkte Beratung in den Grundschulen eingerichtet und ausgebaut werden.

An-Fragen:
  • Bewirken Früh-Förderung und Ganztagsschule nicht eine zu starke Verschulung von Kindheit und Jugendzeit?
  • Hätte man mit der Abschaffung der Grundschul-Empfehlungen nicht noch warten können bis sich die weiterführenden Schulen konsolidiert haben?
  • Was tun, wenn die Kommunen kein Geld zur Verfügung stellen für bauliche Verbesserungen in den Schulen, z.B. Aufzüge für Kinder im Rollstuhl, zusätzliche Räume für individualisierte Angebote? 
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Der zweite rote Faden der aktuellen Bildungspolitik in BW

(neben der stärkeren Entkopplung von sozialer Leistung und Bildungserfolg) sei es,
zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden.
Besorgnis erregend seien der Fachkräftemangel; der funktionale An-Alfabetismus; die geringe Akademiker-Quote unserer Jahrgänge (Platz 23 in der OECD); der sinkende deutsche Anteil am weltweiten Pool hochqualifizierter Experten, der Prozentsatz habe sich in den letzten 20-30 Jahren halbiert (auch weil er in anderen Ländern angestiegen ist).

An-Fragen:
  • Hat die OECD einen "Akademisierungs-Wahn"? (Sichwort:  Prof. Julian Nida-Rümelin)
  • Warum fördern manche Interessen-Gruppen in BW eine Konkurrenz zwischen Gemeinschaftsschulen (GMS) und anderen Schularten (RS, Gym), statt in den verschiedenen Schularten eine sinnvolle Differenzierungsmöglichkeit zu sehen?
  • Wird mit der Einführung der GMS und des neuen 6-jährigen Ausbildungs-Ganges an den
    beruflichen Gymnasien nicht über-differenziert?
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    Mehr zum Thema
    Chancen-Gleichheit und Chancen-Gerechtigkeit
    und "wie die Kultur zum Bauern kommt" auf > Diesem Post.

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