Samstag, 1. August 2015

"Einbildung ist auch eine Bildung" oder: Wenn der Philologenverband über Dinge redet, von denen er nichts versteht, zum Beispiel von Schulnoten...

"Einbildung ist auch eine Bildung"
pflegte meine Oma N. öfter zu sagen. Oma N. war sehr bildungbeflissen, in ihrem Haushalt auf dem Dorf gab es zwei Geigen, zwei Klaviere, viele Bücher, und ihr verdanke ich, dass ich auf`s Gymnasium kam.
Ihre Schattenseite: Sie wollte unbedingt den Kaiser Wilhelm wieder haben und verkehrte am liebsten mit den "Granden" des Dorfes, das waren damals der Schulleiter der Dorf-Volksschule, Lehrer B., und der Herr Pfarrer, der gleich nebenan wohnte. - So viel zur Ein-Bildung und zur Oma.
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Quelle: Stuttgarter Zeitung
Alle Jahre wieder, zur Zeugniszeit,
finden sich mehr oder wenige kluge Ratschläge für Eltern in Zeitungen und Zeitschriften. Das kann auch hilfreich sein. "Bernd Saur, Vorsitzender des Philologenverband Baden-Württemberg, spricht im Interview darüber, warum auch schlechte Noten wichtig sind." - Und verteilt auch präventiv gleich manchen Eltern eine schlechte Note bzw. ein schlechtes Zeugnis. - Denn das ist ja wichtig.


Eltern sind gut beraten, wenn der Tag der Zeugnisse keine totale Überraschung wird. Wer sein Kind das ganze Schuljahr über begleitet, wer die Noten der Klassenarbeiten kennt, die Elternabende besucht und die Lehrersprechstunden nutzt, der wird auch am Schuljahresende nicht erstaunt sein, wenn er von dem Leistungsstand seines Kindes erfährt. - Das wäre kein gutes Zeugnis für die Eltern.
Ja, es ist richtig: Eltern sind gut beraten, wenn der Tag der Zeugnisse keine totale Überraschung wird.

Was tun bei schlechten Noten?
Im Grunde gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder das Kind war zu faul, dann gilt das Motto von Mehmet Scholl:„Jetzt ist Ende mit Rumschlawinern!“ Oder aber das Kind kommt mit einem bestimmten Fach nicht klar. In diesem Fall lohnt es sich über zusätzliche Förderstunden nachzudenken und mit dem Lehrer nach Schuljahresbeginn einen Plan zu machen, wie dem Kind geholfen werden kann.
Prima, dass die Pädagogik so einfach ist und es nur zwei Möglichkeiten gibt: Das Kind ist zu faul oder zu dumm. Ob es auch andere Gründe geben könnte?
Wenn im neuen Bildungsplan in BW auch für das Gymnasium künftig  "LernCoaching" für die SchülerInnen vorgesehen ist, wird auch der letzte Lehrer Lempel merken, dass es mehr Gründe für schlechte Noten geben kann, als dass das Kind dumm ist oder rumschlawinert. Und entsprechend viel mehr Möglichkeiten, darauf zu reagieren.
Siehe auch: Von Lerncoaching, Leadership und Facilitation.
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Die Stuttgarter Zeitung sagt und fragt:
In der Gemeinschaftsschule geben Lehrer keine Noten, sondern eine schriftliche Beurteilung über den individuellen Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler. Eltern können aber eine „Übersetzung“ der Leistungen ihrer Kinder in Noten verlangen. Wäre diese Bewerbungsmethode nicht passender als Zahlen? 

Die Frage ist schon falsch. 
Warum?

  1. "In DER Gemeinschaftsschule!". - Es gibt nicht DIE Gemeinschaftsschule, sondern sehr unterschiedliche Konzepte in den verschiedenen Gemeinschaftsschulen.
  2. So gibt es auch in Gemeinschaftsschulen Noten - früher oder später. 
Richtig ist, 
  • dass in einigen Schulen versucht wurde, i.d. R. bei den jüngeren SchülerInnen, anfangs auf  Noten zu verzichten und z.B. statt dessen mit Farbsymbolen zu arbeiten. Das hat Vor- und auch Nachteile, und manche haben das wieder abgeschafft oder wollen es wieder abschaffen. 
  • Andere Schulen arbeiten mit Prozentskalen ("Du hast bei diesem Test, der auf einem mittleren Leistungsniveau basierte, 50% der Höchstpunktzahl erreicht."). Eltern und Kinder können in einer Tabelle nachschauen, was das dann für eine Note ist (in diesem Fall 3,7), - Dieses System hat Vor- und Nachteile, aber global arbeiten viele Länder nur mit Prozentskalen, z.B. China.
  • Wieder andere arbeiten - mal  mehr mal weniger - mit Kompetenzrastern und/oder verbalen Beurteilungen.  Auch diese Verfahren haben Vor- und Nachteile. Man kann sich z.B. fragen, welche Aussage für Eltern hilfreicher ist:
  1. Aussage A: Ihr Kind hat in Mathe eine 4,5.
  2. Oder Aussage B: Ihr Kind kann in Mathe schon auf einem mittleren Niveau  gut multiplizieren, aber beim Dividieren bewegt es sich noch auf einem Basis-Niveau und es sollte in nächster Zeit seine Aufmerksamkeit auf das Dividieren richten, wenn es einen mittleren Schulabschluss erreichen will.
 Der Philologe antwortet:
Die Gemeinschaftsschule fährt eine Kuschelpädagogik mit angezogener Handbremse. In unserer Gesellschaft gibt es überall Wettbewerb: In der Musikschule, im Sport, bei der Bewerbung um ein Studium oder einem Arbeitsplatz – Konkurrenz ist Teil einer Leistungsgesellschaft. Den Kindern die traumtänzerische Vorstellung „alle sind gleich“ vorzumachen, ist falsch. Bei der Fußballweltmeisterschaft im vergangenen Jahr waren da 82 Millionen Deutsche einer anderen Meinung.
Das hört sich gut an. Was will der Philologe den LeserInnen vermitteln?
> Die Gemeinschaftschule fährt eine Kuschelpädagogik. - 82 Millionen Deutsche sind anderer Meinung.
Eine überzeugende Argumentation? Vielleicht für Leichtgäubige und Unwissende.
> Und der Philologe zeigt, dass er lieber seinen Vor-Urteilen und seiner Ein-Bildung vertraut (... alle machen Kuschelpädagogik, außer wir; wir allein verlangen Leistung ...) als die Augen aufzumachen und sich umzusehen und vorurteilsfrei und undogmatisch zu informieren.
Zum Beispiel: ____________________________________________

Schwäbisches Tagblatt 30. Juli 2015
Der Schulversuch "ErKo" (= "Erweiterte Kooperation zwischen Hauptschule, Realschule und Gymnasium") in Tübingen begann vor 6 Jahren mit 108 SchülerInnen, d.h. er wurde noch unter der alten CDU/FDP-Regierung eingerichtet.

Man kann diesen Schulversuch als Vorläufer der Gemeinschaftsschulen in BW ansehen, denn vieles wurde aus diesem Schul-Versuch nach dem Regierungswechsel zu grün-rot für das Konzept der Gemeinschaftsschulen (GMS) übernommen.

ErKo ging aus einer Realschule hervor, 
blieb im Kern eine Realschule, jedoch wurden in die vier fünften Klassen auch sog. (gemäß der Bildungsempfehlung der Grundschulen)  HauptschülerInnen und GymnasiastInnen aufgenommen. Versprochen wurde mehr individualisiertes Lernen als zuvor in der Realschule. - Jetzt, Sommer 2015, sind diese SchülerInnen in Kl.10 angekommen, auch wenn manche zwischendurch die Schule gewechselt haben, z.B. in Kl.8 auf ein berufliches Gymnasium oder auch auf eine "normale" Realschule. Die SchülerInnen der Klasse 10 ErKo haben kürzlich an den zentralen Realschul-Abschluss-Prüfungen des Landes teilgenommen, und - was auch die Lehrkräfte kaum erwartet hatten: Dieser Jahrgang hat so gut abgeschnitten wie kein Realschulabschluss-Jahrgang dieser Schule zuvor.

Das Tagblatt schreibt:
  • Schüler lernen individuell: Erster "ErKo"-Jahrgang hat seinen Abschluss /
  • Zwei Drittel machen weiter bis zum Abitur
  • "Es waren recht entspannte Jahre", sagen Hanai  und Isabel. Die beiden sind Schülerinnen des ersten Jahrgangs, der die "Erweiterte Kooperation" (ErKo) an der Geschwister-Scholl-Schule (GSS) komplett durchlaufen hat.
Woran lag`s?
Darüber werden sich die Lehrkräfte zusammen mit den Wissenschaftlern der Uni Tübingen, die den Versuch begleiten und den Kultusbehörden Gedanken machen.

Vielleicht daran?
Diese Gemeinschaftsschule fuhr eine Kuschelpädagogik.  ;-) 

Was würde der römische spätantike  Philosoph Anicius Manlius Severinus Boethius (er lebte um 500 n.Chr.) zu Herrn Saurs Beitrag sagen?
"Si tacuisses philosophus mansisses"
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