Ein pensionierter Gymnasial-Lehrer hat es für die taz erstellt, und diese hat es allen 16 deutschen Kultusministerien vorgelegt mit der Bitte:
Errechnen Sie den Abiturs-Durchschnitt.
Was kam dabei heraus?
- In allen Bundesländern läge sein Abi-Schnitt um die Note 2 herum,
- schwankt aber zwischen 1,9 (in Hamburg z.B.), 2,0 (z.B. in NRW) und 2,3 (z.B. in BW).
- Das liegt daran, dass die Bundes-Länder zur Berechnung des Durchschnitts unterschiedliche Formeln anwenden, so dass bei gleichen Noten ein anderer Durchschnitt herauskommt.
- In manchen Bundesländern wäre Dennis trotz guter Durchschnittsnote zum Abi nicht zugelassen.
- Das liegt daran, dass zudem verschiedene Fächer unterschiedlich gewichtet/gewertet werden.
Wen juckt`s?
Nun kann man sagen: Na, wenn schon! Wen interessiert das "später im richtigen Leben" denn noch, ob der Abidurchschnitt 2,0 oder 2,1 war?Da ist was dran. In vielen Fällen macht das nicht wirklich einen Unterschied "im Leben".
- Und auch große Firmen interessieren sich bei der Einstellung von BewerberInnen zunehmend weniger für die Abi-Noten (siehe unten).
- Wenn die Eltern allerdings in Klasse 11 von einem Bundesland in ein anderes umziehen, könnte es sein, dass es mit Dennis` Abitur erst einmal nichts wird und ggf. ein Jahr nachgeholt werden muss.
- Wenn Dennis studieren will, kann der Unterschied zwischen 2,0 und 2,1 darüber entscheiden, ob er gleich einen Studienplatz bekommt oder 1/2 Jahr oder auch ein ganzes oder länger warten muss.
- "Von 9.470 grundständigen Studiengängen in Deutschland, die das Portal hochschulkompass.de aufführt, sind lediglich 128 zulassungsfrei" - heißt es in dem o.g. Artikel.
Ist das tragisch?
Kommt drauf an. Es ist eine Frage des Geldes und der Lebensphilosophie.Man kann es positiv sehen - es wird aber nicht jede/r positiv sehen.
In meiner Warteschleife kann ich noch "nach-reifen"/ oder Geld verdienen/ oder im Krankenhaus jobben und Erfahrungen sammeln, weil ich Arzt werden will/ ins Ausland gehen mit work&travel... - Und wer weiß, welche Lebensperspektiven sich noch ergeben, an die ich mit 17/18 noch gar nicht gedacht habe...
Vielleicht will ich aber auch einfach nur sofort mein Traumfach studieren...
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Länder-Vergleiche sind geheim. Bei Geld- und Freiheits-Strafe.
Es gibt einen gefühlten Ländervergleich. Der besagt: Das Bremer-Abitur ist "schlechter" als das in Bayern. - Was immer "schlechter" auch genau besagen mag.
"Wenn man wirklich genau in die Daten schauen würde und berücksichtigt, dass in Bremen mehr Migranten leben und viele Schüler aus sozioökonomisch schwierigen Verhältnissen kommen, sind die Unterschiede vielleicht nicht mal mehr so gravierend."
- sagt Ludger Wößmann,
- Leiter des ifo Zentrums für Bildungs- und Innovationsökonomik
- und Professor an der Ludwigs-Maximilians-Universität München.
Es gibt auch objektive Daten, z.B. die aus den PISA-Studien. - Aber die sind geheim und unter Verschluss:
Im Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) in Berlin schlummern Datensätze über den Schulerfolg deutscher Schüler, zum großen Teil aus nationalen und internationalen Vergleichsstudien. Das Institut untersteht der Kultusministerkonferenz (KMK). "Die Kultusminister haben eine Reihe von Datensätzen, allen voran Daten für die einzelnen Bundesländer aus den vergangenen Pisa-Studien. Seit 2007 gab es sieben Anträge von Wissenschaftlern, die Ländervergleiche machen wollten. Alle wurden von der zuständigen Kommission abgelehnt. Einstimmig. Wenn Bildungsforscher Daten bekommen, müssen sie schriftlich zusichern, dass sie keine Länder miteinander vergleichen. Sonst drohen Geldbußen bis zu 300.000 Euro oder Freiheitsstrafen." [a.a.O.]
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Aber 12 Punkte in Mathe in Bayern sind doch 12 Punkte in Mathe in Bayern? - Nur in Bremen kriegt man für die gleiche Leistung 15 Punkte? - Oder?
"Kritiker verweisen seit langem darauf, dass die scheinbar präzisen Schulnoten keineswegs objektiv seien. In einer Expertise der Uni Siegen wird das Experiment des österreichischen Pädagogen Rudolf Weiss zitiert, der 153 Lehrer eine Mathematikaufgabe beurteilen ließ.
- die Eins wurde von sieben Prozent vergeben,
- 41 Prozent von ihnen gaben eine Zwei,
- 42 Prozent eine Drei,
- die Vier von neun Prozent
- und ein Prozent der Probanden sahen in der Arbeit sogar eine Fünf.
Es hänge eben stets davon ab, welchen Maßstab man anlege, um eine Anforderung als ausreichend oder ungenügend zu bewerten, sagt Professor Brügelmann. Dieser Maßstab aber sei nicht klar definiert. Nach den Regeln der Statistik sei es überdies eigentlich nicht zulässig, aus Noten, die nur Rangfolgen angäben, Mittelwerte zu errechnen. Und doch werden etwa in Bayern und Baden-Württemberg in den Übertrittszeugnissen Gesamtnoten gemittelt, aufs Hundertstel genau."
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Höre auch die sehr interessante Diskussion: :
- swr2-forum vom 23.7.2013: Umsonst gebüffelt. Was sind Schulnoten noch wert?
- Christof Beutgen, Leiter der Mitarbeiterentwicklung, Deutsche Bahn AG
- Prof. Dr. Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz
- Prof. Dr. Elsbeth Stern, Lernforscherin, ETH Zürich
Die Bahn AG interessiert sich schon jetzt bei Neu-Einstellungen in der ersten Runde nicht mehr für die Schulzeugnisse, sondern die erste Auswahl erfolgt durch einen Online-Test, bei dem nicht einmal nach der Art des Schulabschlusses gefragt wird: Auch Haupt- und RealschülerInnen können teilnehmen. Erst in der zweiten Runde schaut man beim Auswahlgespräch auch auf Abschlusszeugnis und Noten. Daimler, Siemens und viele Hochschulen misstrauen ebenfalls Noten als Nachweis für Talent und Motivation. Manchen Betrieben bleibt mangels Bewerbern gar nichts anderes übrig, als die Noten zu ignorieren. Auswahlgespräche, Assessments und Online-Tests verdrängen das Schulzeugnis als Eignungsnachweis.
Wozu vergibt die Schule noch Noten, wenn sie beim Karriere-Start nicht helfen? Wie motivieren Lehrer und Eltern die Schülerinnen und Schüler zum Lernen, wenn die Note später nichts mehr zählt?
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Siehe auch:
- Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung (Ferdinand Eder, Georg Hans Neuweg und Josef Thonhauser. Österreich)
- Immer so braf. Schule und Zensuren.
- Anne Ratzki, „Leistung bewerten. Was Noten leistenund was nicht“ und: Reinhold Miller. „Leistungsbewertung aus konstruktivistischer Sicht. Oder: Jede Beurteilung ist Selbstbiografie.“ In Lernende Schule, Heft 21 2003, S. 4-10.
- Ingenkamp: Die Fragwürdigkeit der Zensurengebung.
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